Auf dieser Seite "Erinnerungen" berichten
Reinswalder und Reinswalde nahestehende Personen über ihre Erlebnisse.
Mit interessanten Berichten informiert Sie auch das „Sorauer Heimatblatt“ (s. Hinweis unter "Verschiedenes")
Inhaltsverzeichnis für diese Seite:
1. Eine Hochzeit in
Reinswalde
2.
Osterzeit und Ostern in
Reinswalde
3. Brief
an eine Heimatfreundin
4. Die
Flucht 1945 – 1946 von Martha Leitloff und Dieter Schmidt
5. Dorothee Schöne – Kind und
Lehrerin in Reinswalde
Eine Hochzeit in Reinswalde
Erinnerungen von Erwin Steinke - in einem Gespräch notiert am 9. Juli 1997 von
Sohn Reinhard
An meine
Hochzeit mit Deiner Mutti erinnere ich mich noch sehr gerne. Das war wirklich
ein schönes Fest. Kennengelernt hatte ich "Schmidts Liesel" während
meiner Dienstzeit bei der Wehrmacht in Sorau, doch das ist eine andere
Geschichte. Getraut wurden wir am 28. Oktober 1939 von Herrn Blobel, dem Standesbeamten
von Reinswalde. Die kirchliche Trauung vollzog Herr Pastor Johannes Hofmann von
der alt-lutherischen Kirche. Ihn und seine Frau Lieselotte kennst Du ja durch
Überlieferungen, er hat Dich übrigens getauft. Er stammte von einem Bauernhof in
Balhorn und sie war eine Tochter von dem dortigen Pastor Siebert an der
alt-luth. Kirche.
(Anm.: Es handelt sich hier um die ev. renit. Kirche in Hessen, die sich
mit anderen Kirchen heute zur "SELK" zusammengeschlossen haben.)
Mit einer Kutsche
sind wir zur Kirche gefahren. Diese gehörte Deinem Onkel Paul, dem Mann von
Tante Frieda, eine Schwester von Deiner Mutti. Nach der kirchlichen Trauung
sind wir mit unserer Hochzeitskutsche durchs Dorf zurück zum Haus Deiner Oma
"Martha Schmidt" in der Wellersdorfer Straße gefahren. Unterwegs
standen die Bewohner Spalier und alle waren sie festlich gekleidet. Denn so
eine Hochzeit auf dem Dorf war schon ein besonderes Ereignis für die Menschen.
Erinnern kann ich mich an einen Ausruf von meiner frisch angetrauten Frau, die
plötzlich meinte: "Ach, da ist ja auch die 'Mielischen'." Sie muß
damals etwa 75 - 80 Jahre alt gewesen sein und sicherlich nicht gut zu Fuß,
denn sonst hätte Liesel diese Frau bestimmt nicht besonders erwähnt. Ob sie von kleiner Statur
war, das vermag ich heute nicht mehr zu sagen.
(Anm.: An diese "Mielischen"
erinnerte sich mein Vater während des Lesens der Lebenserinnerungen von
Dorothee Schöne, die im Sorauer Heimatblatt ab August 1997 ff. abgedruckt
wurden. Nach seiner Meinung kann es sich nur um die dort beschriebene Tochter
Mariechen handeln. Wenn wir das obige Alter und die Beschreibung von Dorothee
Schöne zu Grunde legen, war Mariechen um 1890 etwa 30 und ihre Mutter etwa 60
Jahre alt. Im Text heißt es: "Gern besuchten wir im Dorf die kleine Mutter
Mielisch mit ihrer noch kleineren und buckligen Tochter Mariechen, die sich
durch Nähen unterhielten.")
Während
unserer Rückfahrt verteilten wir kleine Geldgeschenke, die wir aus unserer
Kutsche in die spalierstehenden Leute warfen, hier mal einen Groschen, dort mal
20 Pfennig, ab und zu auch einen "Fuffziger".
Ach, es war schon schön, und wie lange ist das nun schon her, .....
(Anm.:
Das andere verschluckte er, aber ich hatte ihn schon verstanden, daß er zum
Schluß eigentlich sagen wollte: "und Mutti ist nun auch schon 15 ½ Jahre
tot".)
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Brief
an eine Heimatfreundin
Erinnerungen an eine nicht geplante Reise – Vorwort von Reinhard Steinke, Jever
Vor drei Jahren (im Herbst 1997) bekam ich beim jährlichen Treffen der
Reinswalder in Balhorn von Gertrud Gummert, geb. Rehnisch die Kopie eines
Briefes, den meine Mutter Elisabeth, geb. Schmidt (Schmidts Liesel), vor
nunmehr über 54 Jahren an ihre Freundin schrieb. Soweit mir bekannt, ist es
eines der wenigen Dokumente aus dieser Zeit, die der Familie in schriftlicher
Form erhalten geblieben sind. Ich danke "Tante Trudl", die mir die
Erlaubnis zur Veröffentlichung gab. Beim Treffen in Balhorn am 16./17. Sept.
2000 übergab sie mir das Original mit dem dazugehörenden Briefumschlag und den
amerikanischen Besatzungsbriefmarken; dieser Verzicht auf eine persönliche über
ein halbes Jahrhundert aufbewahrte Erinnerung ist nicht selbstverständlich und
verdient großen Respekt. Der nachstehende Text wird ohne weiteren Kommentar
wiedergegeben – er steht für sich!
Minden, 4.4.46 - Liebe Trudl!
Deine Karte habe ich heut mit bestem Dank erhalten, man freut sich ja immer,
wenn sich wieder jemand von der lieben Heimat meldet. Ja, ich bin nun hier in
Minden gelandet, auch auf eine ganz komische Art u. Weise. Damals war ich doch
mit Mutter zusammen, wir wurden von Bautzen aus nach der Tschechei evakuiert,
als der Krieg zuende ging, wollten wir natürlich dort
nicht bleiben und sind mit unsern Soldaten zurück nach der Heimat gefahren.
Annemarie, Reinhard und ich waren in einem Auto, Mutter u. alle andern auf
einem andern und da hab ich die andern alle verloren, es ging ja alles
durcheinander.
Ich hatte gar nichts bei mir, nur was ich anhatte. Da bin ich dann mit ins
Gefangenenlager gekommen, erst in Amerik. Und zuletzt in Russisches, wo es
nicht schön war. Reinhard wurde mir dort krank. Noch in der Tschechei, dort
wurden wir dann auch wieder davongejagt. Ich hab aber immer eine schützende Hand
über mir und den Kindern gehabt. Mit dem einzigen Auto, was dort noch war, die
andern hatte der R. alle weggenommen, bin ich aus dieser Hölle dann wieder
weggekommen. Und sind dann glücklich nach Österreich gekommen. Bald bis Wien.
Horn. Dort war ich am 22.5.45. Dann hab ich mich selbständig gemacht und bin
mit der Bahn immer stückweise zurück ins Reich.
Es war ja sehr schwierig, denn Reinhard wurde immer schlechter. Ja, nun wohin.
Da bin ich bis nach Witten an/d Ruhr gefahren, da war ich so am 1.6., da hatte
ich Bekannte. Dort ist es aber sehr schlecht mit der Esserei, hatten keine
Kartoffeln. So war ich gezwungen weiter zu fahren. Nun wieder: wohin? Nach
Berlin. Reinhard immer noch sehr krank,
hatte Ruhr oder Typhus. Man dachte manchmal, es wäre etwas besser. Aber die
Kräfte nahmen immer mehr ab. Da bin ich am 9.6. dort wieder weggefahren, zuerst
mit einem Auto bis Minden und von hier wollte ich mit der Bahn weiter nach
Berlin. Wäre auch hingekommen, wenn Reinhard nicht so krank gewesen wäre.
Als ich mit dem Auto fuhr, wurde Reinhard immer weniger, man sah es direkt. Er
konnte den Kopf nicht mehr halten, nicht mehr stehen und auch gar nichts mehr.
Hier in Minden bin ich gleich erst zum Arzt gegangen und die Wohlfahrt hat mir
eine Unterkunft gegeben im Altersheim. Dort hatten wir es sehr gut, hab
Reinhard gehegt und gepflegt und hab ihn auch wieder gesund bekommen. Im Juli
fing er wieder an zu laufen, und heut ist er wieder ein großer, strammer Junge.
Hat schon viel gelernt, er geht nämlich in den Kindergarten, wo es sehr schön
ist.
Mein Mann ist seit 9.12.45 auch bei uns. Ist am 10.6.entlassen worden und war
solange in Bayern b. Bauer. Durch die Eltern in Berlin haben wir uns wieder
gefunden. Unsre Mutter war nun noch in der Tschechei und sind im Januar jetzt
von dort weggegangen nach Balhorn, durch Frau Pastor hab ich dann auch wieder
unsre Mutter gefunden. Auch ist Frieda am 18.1. bei mir angekommen.
Wir haben nun eine möblierte Wohnung bei einer alleinstehenden 80jährigen Frau.
Erwin arbeitet als Schlosser und ich arbeite beim Engländer. Hab ja sehr gut
und auch viel Zeit für mich. Frieda ist nun am 18.3. auch nach Balhorn gefahren
mit Annemarie, Erwin u. Reinhard auch. Ich wollte ja gerne fahren, aber konnte
wegen der Arbeit nicht gut. Erwin ist noch nicht zurück, warte alle Tage. Otto
hat sich auch gemeldet aus engl. Gefangenschaft in Deutschland. Heut hat unsre
Oma Geburtstag, ja wie schön war es immer zu Hause. Wie gut, daß ich immer oft
bin zu unsrer Mutter gegangen. Heut ist alles anders. Ob wir noch mal nach
Hause kommen?
Nun werde ich mal aufhören und schlafen gehen. Hoffe, von Dir ja auch bald
wieder etwas zu hören. Grüße bitte alle lieben Bekannten von mir.
Nun sei Du recht herzlich gegrüßt von Deiner Liesel
Steinke
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Osterzeit und Ostern in Reinswalde
Erinnerungen aus der Zeit des
ev.-altluth. Pastor Burgdorf (1919 - 1931), von Martha Lehmann, geb. Grätz, der
Mutter von Ella Friebe, geb. Lehmann (aufbereitet von Reinhard Steinke, Jever)
In der Epiphaniaszeit wurde der Mission gedacht. Dann begann die
Passionszeit.
In dieser
Zeit begleiteten wir unsern Heiland auf seinem Leidenswege bis zum Kreuz am
Karfreitag. Jeden Mittwoch war Passionsgottesdienst. Der Karfreitag war der
stille und heiligste Feiertag des ganzen Jahres. Am Sonnabend wurde noch alles
vorbereitet auf Ostern, aber sonst war es stille. Aber am Ostermorgen früh um
drei Uhr ertönten und jubelten alle Glocken und verkündigten die Auferstehung des
Herrn. Welch feierliche Stille des Ostermorgens. Je nach der Jahreszeit zeigten
sich hie und da die ersten Frühlingsblumen, frisches Grün überzog Wiesen und
Felder und zeugte davon, daß auch die Natur zu neuem Leben erwache. Auch ließen
die Vögelchen ihre Stimmen erklingen und verkündigten den heranbrechenden
Morgen. Während des Läutens gingen viele nach alter Sitte nach Osterwasser.
Um 6 Uhr
erklangen dann die Lieder des Posaunen- und Kirchenchores, vom sogenannten
Sängerberg unweit der Kirche, zu Ehren des auferstandenen Heilandes. Viele
eilten auf den Friedhof, um die Gräber ihrer Lieben zu schmücken, welche dann
wie ein Blumenmeer prangten. Um 9 Uhr war Festgottesdienst mit heiligem
Abendmahl. Schon im Introitus klang es uns entgegen: "Der Herr ist auferstanden. Ja, er ist wahrhaftig auferstanden."
Nachmittags
um 2 Uhr fand eine Auferstehungsfeier statt. Der Pastor ging mit der
konfirmierten Jugend geschlossen ins Gotteshaus, wo sich schon ein großer Teil
der Gemeinde versammelt hatte, nach einem Osterliede hielt der Pastor eine
kurze Andacht. Die Jugend bekannte dann den Glauben und das Tauf- und
Konfirmationsgelübde. Nun wurden die Namen derer verlesen, welche von einem
Ostern bis zum andern heimgegangen waren. Zu ihrem Gedenken wurde ein stilles
Gebet getan. Nach Verlassen der Kirche ging es unter Posaunenklängen zum
Friedhof, auch hier wurde ein Lied gesungen. Der Pastor hielt eine Andacht über
ein Auferstehungswort. Nachdem die Jugend gesungen hatte "Wir wollen alle fröhlich sein in dieser österlichen Zeit",
war die Feier beendet, welche alle Jahre gehalten wurde.
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Dorothee
Schöne wuor a echt Reenswaaler Maaichen
Lebenserinnerungen: Als Kind und Lehrerin in
Reinswalde
Einführung und Anmerkungen von Reinhard Steinke, Jever
Beim Heimatfest im Mai 1993
in Werben las ich aus Erinnerungen vor, in denen Dorothee Schöne (auch Dorothe, Dorothea genannt) von ihrer Kindheit
in Reinswalde am Ende des vergangenen Jahrhunderts berichtet. Vielleicht
erinnert sich der eine oder andere daran. Jetzt fand ich in den Aufzeichnungen
von Martha Lehmann, geborene Grätz (Mutter von Ella Friebe, geb. Lehmann, beide
in Reinswalde geboren, Martha am 20.1.1895, Ella am 16.10.1919) einen
eigentlich belanglosen Nebensatz, der diese Kinderzeit in einem ganz neuen
Licht erscheinen läßt. Die Verfasserin Dorothee Schöne war nicht nur "a echt Reenswaaler Maa(i)chen", nein, sie war von April 1907 bis Dezember 1908 auch
zweite Lehrerin an der lutherischen Schule in Reinswalde. Diese Tatsache ist
neu, weil bisher niemand darauf aufmerksam machte und darüber in keiner der bis
heute bekannten Aufsätze und Schriften über die Reinswalder Schulen und deren
Lehrer etwas zu lesen war - auch nicht bei Erich Schwärzel im Sorauer
Heimatblatt 9/1978. So soll in dieser und in den nächsten Ausgaben des Sorauer
Heimatblattes an ein längst vergangenes, sich niemals wiederholendes Kapitel
Reinswalder Geschichte erinnert werden - zum einen wird uns Lebenden eventuell
Vergessenes ins Gedächtnis zurückgerufen und zum anderen haben diese Berichte
aus der Vergangenheit unserer Väter durchaus den Zweck, unseren Enkeln und
Urenkeln nicht nur als Quelle sondern auch als Ansporn für weitere Nachforschungen
zu dienen.
Dorothee wird am 7.2.1885 in
Reinswalde als 5. Kind des Paul Albrecht Schöne und seiner Frau Lina, geb. Ebel
geboren. Dieser war 5. lutherischer Pfarrer in Reinswalde. Während seiner
Amtszeit vom 16.1.1881 - 1892 wird das luth. Pfarrhaus und das zweite luth.
Schulhaus gebaut (die drei Gebäude stehen heute noch). Zur Entlastung von
Pfarrer Friedrich Georg Samuel Biehler in Guben (Schönes Vorgänger in
Reinswalde von 1864 - 1881) wird 1888 die Gemeinde Friedersdorf von Guben
getrennt und als Gastgemeinde in den Verband der Parochie Reinswalde
aufgenommen. Im Gertrudenstift in Großenritte
schließt Dorothee ihre Augen am 25.2.1972 im gesegneten Alter von 87 Jahren,
als letzte der 10köpfigen Kinderschar. So hat dieser Bericht in diesem Jahr die
unbeabsichtigte traurige Pflicht, ihrem Tod vor 25 Jahren zu gedenken. Von
Dorothees 9 Geschwistern kommen noch 4 Brüder in Reinswalde zur Welt, nämlich
Andreas (12.12.1881), Christian (24.9.1883), Johannes (14.5.1889) und der nur
20 Tage alt gewordene Paul (31.1.1891).
Diese Stelle eignet sich
hervorragend, mich ganz herzlich bei dem Sohn des eben genannten Andreas zu
bedanken, mittlerweile auch schon 80jähriger Neffe von Dorothee. Die selbstlose
Bereitschaft von Herrn Christian Schöne mich mit Unterlagen, Bildern und
Informationen zu versorgen, ist ja nun so selbstverständlich auch nicht, sie
beweist aber die Verantwortung vor seiner Familie und der Reinswalder
Geschichte. Alle Anfragen und Wünsche wurden innerhalb weniger Tage erfüllt,
daher noch einmal - herzlichen Dank!
Zum besseren Verständnis sei
noch angemerkt, daß Pfarrer Wilhelm Pfaff von 1892 - 5.11.1918 in Reinswalde
Pastor Schönes Nachfolger wird; und für Dorothee Schöne kommt Anfang 1909 die
Tochter des genannten Pastors Pfaff "unsre liebe langjährige Lehrerin Frl.
Mathilde Pfaff", wie es bei Ella Friebes Mutter heißt. Interessante
Stellen ergänze ich durch kursive
Anmerkungen in der Hoffnung, daß sich Leserin und Leser an diesen Hinweisen
erfreuen. Lassen Sie vor Ihren Augen Freuden und Ängste, Spiele und Streiche
der Kinder vor einem Jahrhundert lebendig werden. Bangen Sie mit ihnen und
freuen Sie sich, wenn der ausgeheckte oder unabsichtliche Streich gelingt.
Handelt es sich doch um Schauplätze, die jedem Reinswalder vertraut sein müßten.
Wer weiß, haben Sie nicht vielleicht auch ...???
Nach
dieser doch länger gewordenen Einleitung soll nun endlich Dorothee Schöne zu
Wort kommen.
Die Kindheit in Reinswalde 1885 - 1892
Wenn ich es wage, die vorangegangenen
Familienereignisse und Gestalten zu ergänzen und abzuschließen mit der
Darstellung meines eignen Lebens und den Kinder- und Jugendjahren meiner
Geschwister, so geschieht dies aus der Erwägung heraus, daß gerade dies den
Kindern meiner Brüder (oder doch einem Teil von ihnen) interessant und lieb
sein würde und vielleicht lesenswerter als die Geschichten der Großväter und
Urgroßväter, die ich selbst nur vom Hörensagen kenne und 150 bis 200 Jahre
zurückliegen. Mein Bruder Konrad ist der Meinung, daß richtige
Lebenserinnerungen alles bringen müßten, Gutes und Böses, Erfreuliches und
Verabscheuungswürdiges. Aber wenn ich mich bemühen werde, die guten Seiten
nicht zu verklären und zu verschönern, so muß ich auch das Böse so darstellen,
wie ich es erlebt habe; aber beides gemildert und mit Verständnis und Liebe
angesehen.
Das alte kleine Pfarrhaus in
Reinswalde, in dem Andreas, Christian und ich geboren sind, steht nicht mehr
unter dem dicken alten Nußbaum. Es war ein einfaches kleines Weberhaus mit
wenigen Räumen und einer "blauen Türe, die in schiefen Angeln hing",
wie Tante Emma in einem Silberhochzeitsgedicht gesagt hat. Es wurde 1888
abgerissen, nachdem auf dem Pfarrgrundstück, etwa 40 m entfernt ein neues
zweistöckiges Pfarrhaus erstanden war. Ich habe also, da ich beim Bau des neuen
Hauses erst 3 Jahre alt war, keinerlei Erinnerungen an das alte, auch nicht an
meine 4 älteren Geschwister aus diesen frühsten Kinderjahren. Eine meiner
allerersten Kindheitserinnerungen ist die, daß ich mit Andreas und Christian im
Garten Nachtwächter spielte, d. h. Andreas als Nachtwächter trug auf der Brust
ein blankes Schild, in der Hand einen derben Stock, auf dem Kopf eine Mütze; ob
er auch eine Laterne und einen Spieß hatte, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls ging
er mit sehr großen Schritten die Gartenwege hin und her und spähte aus nach
einem Nachtschwärmer oder Spitzbuben, der in Gestalt des nichtsnutzigen
Christian sich irgendwo versteckt hielt.
Es war aber heller Tag und
wohl ein Sonnabend nachmittag. Denn der alte Vater Graumann
erschien auf dem Hauptweg, der von der Kirche her am Garten entlang zum Haus
führte. Vater Graumann, ein kleines altes Männchen
mit weißem stoppligen Bart war Balgentreter an der Orgel und kam, um die Lieder
für den Sonntagsgottesdienst zu holen. Der Anblick dieses kleinen freundlichen
Greises und die Tatsache, daß ich kleines Ding wohl etwas planlos hin und her
lief zwischen Nachtwächter und Spitzbube, gab dem Spitzbuben einen fatalen
Einfall. Er rief mir zu : "Geh gleich hin und gib Vater Graumann einen Kuß!" Wahrscheinlich war ich schon
damals dafür bekannt, jeglicher Zärtlichkeit abgeneigt zu sein. Aber die Angst
vor dem um 1 ½ Jahre älteren Bruder, unter dessen Botmäßigkeit ich damals
stand, überwog meine Scheu und meine Abscheu, und ich tat wie mir befohlen.
Auch sonst war das Hörigkeitsverhältnis zu diesem Bruder nicht immer beglückend
für mich. Wenn ich ihm nachlief, wenn er im kleinen Wiesentümpel unten im
Garten auf dem Wege zum Sängerberg oder in dem größeren Tümpel am Kirchviehweg
gegenüber vom Haus, wo die heimkehrenden Kühe zur Tränke gingen - herumwatete und Kaulquappen, Blut- oder Pferdeegel fischte
oder sonstwas herausholte, endete das oft damit, daß er mir solch ein
schleimiges oder wabbeliges nasses Etwas in den Halsausschnitt am Nacken schob
und sich dann davon machte, ohne mich davon zu befreien.
Seitwärts hinter dem Haus war
eine schöne Rasenbank über die man durch eine Buchenhecke hinaufstieg zu dem
dahinterliegenden Teil des Pfarrgrundstückes, das als Acker verpachtet war.
Diese Rasenbank liebte ich sehr, sie lag versteckt und vom Kirchviehweg durch
Sträucher gedeckt.
(Anm.: Rasenbank ist die ältere
Bezeichnung für einen Hang mit einem abschüssigen Rasenstück zum Sitzen.)
Ich hatte die Gelegenheit, dort Grashalme zu essen, was mir von Mutter streng
verboten wurde, wohl weil man damals noch nicht die Segnungen der vegetarischen
Rohkost kannte. Ich konnte das Grasessen aber nicht lassen, meldete mich jedoch
hinterher pflichtgemäß als ungehorsam und bekam meine verdiente Strafe.
Christian leistete sich andre
Dinge, legte z. B. Briefe, die er für Vater in den Briefkasten am Kretscham
stecken sollte, einfach unter eine Hecke auf dem Wege dorthin, wo sie vom
Postboten gefunden und zurückgebracht wurden. Das frühe Zubettgehen war ihm
langweilig, besonders wenn an Sommerabenden der Freund August Lehmann mit
seinen Kühen laut singend vorbeikam.
(Anm.: vom Alter her wohl identisch mit
August Lehmann, [als Landwirt im Adressbuch 1938 Nr. 126], ¥ Bertha, geb. ..., wohnte in Reinswalde,
Dorfstraße 165; Tochter Frieda, Schneiderin).
Und eines abends
hängte Christian bei der Gelegenheit einen Fensterflügel aus, der ihm vom 1.
Stock aus herunterfiel auf eine am Haus stehende Gartenbank - ohne zu
zerbrechen. An bestimmten Tagen des Monats hielt Vater in der Kirche die
Aussegnungen der Wöchnerinnen, die ihren Kirchgang hielten. Christian fand auf
einer seiner Entdeckungsfahrten die Kirchentür offen, ging hinein. Als er
einige Frauen vor dem Altar knien sah, die von Vater angeredet wurden, gesellte
er sich zu ihnen, kniete nieder und ließ sich mit segnen.
Öfter wurden wir ins Dorf
geschickt, um etwas zu bestellen oder auszurichten. Im Oberdorf kam man an
einem windschiefen, halb verfallenen Häuschen vorbei, mit tief
herunterhängendem Strohdach und roten Feuerbohnen vor Fenstern und Tür. Ich war
fest davon überzeugt, daß die Mutter Zindler, die dort wohnte mit ihren
ältlichen Töchtern Kunigunde und Urigunde (woraus vielleicht Kundry de la
Sorcière abgeleitet ist oder umgekehrt) eine Hexe sei. Wenn wir dort
vorbeimußten, raste ich so schnell wie möglich vorbei, da Christian mir
vorausgelaufen war, oder ich klammerte mich an Andreas ruhige Hand, der mich
mit meiner Angst nicht im Stich ließ, wenn er mit dabei war. Hinterher kamen
wir zu einer freundlichen Familie Weinert, die uns jedesmal mit dick
gestrichenem Butterbrot, mit einer Decke von Zucker bestreut, bewirteten. Ich
höre noch heut, wenn ich daran denke, das Knirschen des Zuckers unter den
Zähnen.
Andreas
war ein stiller, geduldiger und sehr friedliebender Bruder, man konnte sich
überhaupt nicht mit ihm zanken. Ich glaube auch nicht, daß er von den Eltern
jemals gestraft werden mußte. Als ich eines Tages, vom Vater geführt, mit
greulichen Zahnschmerzen zum Dorfbader Ernst Mielisch gebracht wurde, kam er
uns nachgelaufen mit seinem besten roten Taschentuch mit einem Bilde von Kaiser
Wilhelm, damit ich etwas zum Abwischen von Blut und Thränen in der Hand hätte.
Mielisch Ernst nahm eine Zange, seine alte Mutter hielt mir den Kopf fest, und dann
kam nach einigen Ansätzen der Zahn heraus. Es war offenbar schon ein großer
Backenzahn, denn die Lücke habe ich behalten, bis in Bünde eine ganze Prothese
meinen Mund zierte.
(Anm.: Ernst Mielisch und Pauline, geb.
..., [als Auszügler im Adressbuch 1938 Nr. 160], wohnte in Reinswalde,
Dorfstraße 47; Sohn Alfred Mielisch, [160] ¥ Martha Kloß (Oberkloß))
12. Januar 1960: Nach leider
etwas langer Pause versuche ich den Faden der Erinnerung hier wieder
aufzunehmen.
Unser Vater war für Politik
stark interessiert und - wie sich das für einen Pastor der Bismarckschen Zeit
nach der Reichgründung von selbst verstand - konservativ und ein Feind der
Sozialdemokraten, die damals in Deutschland etwa die Rolle spielten, wie jetzt
die Kommunisten. Ich glaube, Vater hat sogar einmal eine Wahlrede gehalten. Das
würde heut nicht mehr nötig sein, da die SPD bürgerlich und christlich bejahend
geworden ist. Wir Kinder waren natürlich auch sehr patriotisch. Ich besinne
mich, daß an einem Geburtstag des "Alten Kaisers" (Wilhelm I.), 22.
März, das Fenster des Studierzimmers hell mit Kerzen erleuchtet war, die ein
Bild des Kaisers einrahmten. Wir Kinder standen draußen davor und sangen
"Heil Dir im Siegerkranz", und am lautesten sang in heller
Begeisterung Andreas, machte dann hohe Luftsprünge und schrie Hurra. Auch Jahre
später noch in Ohlau war er so patriotisch entflammt. Als der Erbprinz Bernhard
von Weimar, Schwager Wilhelms II. zu einer Regimentsbesichtigung nach Ohlau
kam, liefen die Kinder in Haufen hinter und neben dem Wagen her. Andreas kam
unvermutet spät nach Haus und auf Mutters Frage, wo er so lange geblieben sei,
antwortete er mit kaum vernehmbarer heiserer Stimme, er sei hinter dem Wagen
des kom. Generals des Erbprinzen durch die ganze Stadt gelaufen und hätte Hurra
geschrien.
Nun, nach Reinswalde kam kein
Erbprinz und kein General, aber wenn Manöver war, wurden die Offiziere mit
Burschen bei uns im Pfarrhaus einquartiert, das war der schönen Pferde wegen
ein besonderes Vergnügen für die Brüder. Aber das einzige, was uns noch
sichtbar an sie erinnerte, waren freundliche Abschiedsworte im Gästebuch.
Wenn am 2. Sept., am
Sedanstag, das große Kinderfest im Dorf gefeiert wurde, auf der Wiese bei
August Hübners Hof, wo eine riesenhafte alte Kastanie stand,
(Anm.: August Hübner, [Nr. 96 des
Adreßbuches], Dorfstr. 126, Alt-Bürgermeister, Großvater von Christa Woithe,
Cottbus)
machte Mutter für Hanna und mich 2 Kränze aus kleinen Astern, die Jungen
bekamen Fähnchen. Andreas zog seine großen Sonntags-Schaftstiefel an, aus denen
er abends nur mit Mühe wieder herauskam, und wir versammelten uns mit den
andern Schulkindern vor den Schulhäusern bei der Kirche. (Andreas hat, wie ich
nebenbei bemerke, die Vorliebe für Schaftstiefel beibehalten, er trägt noch
heute
(Anm.: also 1960)
mit 78 Jahren nur Knobelbecher, obschon ein Gegner der stiefeltragenden
Nazibrüder). Der ganze lange Kinderzug ging durchs Dorf bis zur Wiese. Dort
hielt Vater als Ortsschulinspektor eine Ansprache, die mit einem Hoch auf König
und Vaterland schloß und dann begannen die Belustigungen und Spiele. Für die
Jungen vor allem das Erklettern der hohen Stangen, an deren äußerster Spitze
ein Paar Würstchen hing als Siegespreis. Wir Mädchen spielten unsre
Kreisspiele: "Ein Schäfersmann ging vor dem König sein Haus" oder
"Es regnet auf der Brücke". Und dann eventuell noch Sackhopfen, wobei
man auch einen Preis gewinnen konnte, aber sicher kein Würstchen, denn die
waren den Knaben vorbehalten. Wir bekamen vielleicht einen Kuchenkringel, eine
Brezel oder eine Semmel. Um 6 Uhr abends hielt dann der alte Kantor Jungermann
eine Dankrede zum Abschied, die Bläser waren da, wir sangen "Nun danket
alle Gott" und dann ging unter Posaunenklängen der Zug zurück zu den
beiden Schulen.
Ein besonderes Vergnügen im
Winter war für uns die Fahrt nach Sorau, 10 km weit, wo die Eltern
Weihnachtsbesorgungen machten. Dazu wurden bei einem Bauern 2 Pferde bestellt,
die große Pfarrkutsche aus der Remise geholt, und dann durften wir 4 Großen
einsteigen. Mutter saß mit Vater im Fond, Andreas vorn beim Kutscher, Hanna,
Christian und ich auf dem Rücksitz. Es war sehr schön, und wäre noch
genußreicher gewesen, wenn ich mich nicht wieder mit Christian gezankt hätte.
Der sprang vor Begeisterung über das, was er durchs Fenster auf der Straße sah
oder aus Freude über die bevorstehenden Genüsse fortwährend vom Sitz auf und
trat mich dabei tüchtig auf die Füße, was ich natürlich nicht stillschweigend
über mich ergehen lassen konnte.
In Sorau fuhren wir durch ein
altes Stadttor, dann durch eine torartig überwölbte
Durchfahrt, ich glaube, es war das alte Schloß, das jetzt das Amtsgericht
beherbergte. Noch heute höre ich Klappern der Pferdehufe auf dem
Kopfsteinpflaster, das mir noch in der Erinnerung angenehm stolz und heroisch
in den Ohren klingt, nicht zu vergleichen mit dem Schnaufen, Surren und
Quietschen der heutigen Autos. Im "Weinberg" wurde ausgespannt.
Dieser alte Gasthof am Rande der Stadt ist mir darum in deutlicher Erinnerung,
weil ich dort auf dem großen Hof oder Vorplatz einmal eine große Prügelei von
scheinbar angetrunkenen Arbeitern sah, wobei der kluge Christian mir erklärte:
Das sind Sozialdemokraten. Die Eltern hielten sich aber bei den
Sozialdemokraten nicht auf, sondern gingen mit uns in die Stadt. Ich kann mich
nicht besinnen, daß weihnachtliche Schaufenster mir großen Eindruck gemacht
hätten. Bemerkenswert war nur, daß Andreas diese Wanderungen durch die Straßen
fast nie mitmachen konnte, weil ihm von der Wagenfahrt übel geworden war, und
er mußte in der Konditorei Steinchen (oder Steingen) bleiben, wo er ein Glas
Wasser bekam und auf ein Sofa gelegt wurde. Er war ein blasses schwächliches
Kerlchen und hatte viel Kopfschmerzen. Zum Schluß kamen wir alle in die
Konditorei zurück und bekamen etwas Süßes zu essen, wahrscheinlich Apfelkuchen,
den Vater immer zu bestellen pflegte.
Es gab dicht bei Pfarrhaus
und Kirche zwei Schulhäuser mit je einem Lehrer. Die Dorfkinder der evang.
Bevölkerung gingen in die "Förderschule", eine einklassige Schule bei
der evang. Kirche an der Hauptstraße. Drei Viertel des Dorfes war lutherisch,
daher (war) unsere Schule viel stärker bevölkert in zwei getrennten Häusern.
Unsre hieß im Dorf zum Unterschied die "Hingerschule", weil sie etwas
abseits vom Dorf lag. Hanna war noch bei Kantor Walthelm
in die Schule gegangen mit einem dunkelbraunen, schmalen, länglichen Deckelkorb
für die Bücher. Schulmappen gab es für die Mädchen noch nicht, höchstens
Taschen aus einer Art Sackstoff; Ranzen auf dem Rücken trugen nur die Jungen.
(Anm.: Schwester von Dorothee, * Guben
29.5.1879, ¥ Martin
Kregel, später Pastor in Militsch; s. a. am Ende dieser Erinnerungen)
Nach Walthelm
kam Kantor Jungermann mit einer ganz jungen Frau und einer älteren Schwester,
Tante Linchen Jungermann, die den Mädchen Nähen und Stricken beibrachte,
während die Jungen turnten. Der alte Jungermann war etwas nörgelig, pedantisch
und kränklich und ließ sich oft vertreten durch seinen Neffen Franz Vogt, der
wohl als Primaner, später Student viel bei den Verwandten war. Er war nicht
beliebt, denn trotz seiner kleinen Gestalt war er sehr energisch, ungeduldig
und prügelbereit. Die Mädchen pflegten sich unter den Jacken dicke Polster auf
die Achseln zu legen, weil dann der Rohrstock nicht so zog. Ob die Jungen sich
auch den Hosenboden polsterten, weiß ich nicht. Hanna hat die Schule wohl nur
kurz besucht. bekam dann Unterricht von Vater und Mutter und schließlich
monatelang in Herischdorf, wo sie bei Großmutter Schöne wohnte und bei
Großvater Ebel Stunden bekam.
Inzwischen wurde ein zweites
Schulhaus gebaut und ein junger Lehrer angestellt, der im kleinen Schulhaus die
vier unteren Klassen in zwei Abteilungen unterrichtete. Bei ihm begannen
Andreas und Christian ihre Studienjahre. Christian lief mit seinem um 2 Jahre
älteren Bruder mit zur Schule und fing an alles mitzulernen. Das wurde aber auf
die Dauer nicht erlaubt, er blieb wieder zu Hause; und als er dann seinem Alter
gemäß wieder anfangen sollte, hatte er das erste Lesen vergessen und mußte mit
größter Mühe ganz neu anfangen zu buchstabieren und lautieren.
Herr Hoffmann war noch sehr
jung und unverheiratet, er hatte eine sehr ruhige und geduldige Art mit den
Kindern, kam alle Tage zu Tisch zu uns ins Pfarrhaus und lernte bei den Eltern
beispielsweise einige Tischsitten, die Mutter so anbrachte, daß sie uns Kindern
sehr energisch schlechte Manieren verwies. Außerhalb der Schule war er ein
guter Spielkamerad für meine großen Brüder. Ich sehe ihn noch in seinem blauen
kurzen Gehröckchen, das er mit blauen Perlmuttknöpfen trug (er war sehr armer
Leute Kind aus Benau), wie er mit Christian und Andreas auf der Jagd nach
Karnikkeln um Haus und Scheune herumschlich und rannte, um die Tiere, unter
Brettern und Balken verkrochen, hervorzujagen. Diese
Vertraulichkeit verführte Christian zu kleinen Unverschämtheiten. Eines Morgens
begrüßte er ihn beim Eintritt ins Schulzimmer mit laut schallender Stimme:
"Herr Dreschflegel, guten Morgen!" Als Vater das durch Andreas oder
Herrn Hoffmann erfuhr, gab es ein kleines Strafgericht, und dann mußte der
Frechling gehen und Abbitte leisten. Damit das auch sicher geschah, wurde er
der großen Schwester Hanna an die Hand gegeben. Er riß sich aber los und rannte
fort, das glückte ihm zweimal. Erst beim dritten Gang konnte sie ihn am Ziel
abliefern.
Die beiden
ältesten Brüder haben ihre ganze Schulzeit gemeinsam durchlaufen, und Vater
fing schon beizeiten mit Latein bei ihnen an, während Hanna bei Mutter
Französisch lernte. Ich bekam noch vor meiner Schulzeit den ersten
Religionsunterricht bei Hanna. Sie lehrte mich biblische Geschichten mit der
großen Bilderbibel; und den ersten Liedvers, den ich
bei ihr lernte, habe ich nicht wieder vergessen:
"Dem Herren mußt
du trauen,
wenn Dir's soll
wohlergehn,
auf sein Werk mußt du
schauen,
wenn Dein Werk soll bestehn.
Mit Sorgen und mit
Grämen
und mit selbsteigner
Pein
läßt Gott ihn gar
nichts nehmen,
es muß erbeten
sein."
Die beiden letzten Zeilen sind mir in späteren Jahren oft sehr bedeutungsvoll
geworden, und ich habe spät und schwer gelernt, sie zu beherzigen.
(Anm.: Mit Sorgen ...)
Das
Lernen wurde mir nicht schwer, man war ja den kleinen Dorfkindern von Haus aus
überlegen an schneller Fassungsgabe und Sprach- und Sprechgewandheit. Nach 1 ¼
Jahr, als wir nach Ohlau übersiedelten, war mein Abgangszeugnis so vorzüglich,
daß die Eltern sich einigermaßen wunderten, auf meinem ersten Zeugnis in der
Mädchenmittelschule lauter: "Ziemlich Genügend" und ähnliches zu
lesen. Ich war unter den feinen Stadtkindern so verschüchtert und noch
verschlossener als sonst, daß ich kaum den Mund auftat, im Unterricht nie
fragte nach Nichtverstandenem und den Zeigefinger nur hob, wenn ich meiner
Sache ganz sicher war.
Noch
einige Erlebnisse aus der Vorschulzeit sind mir in Erinnerung. Wir Kinder
hatten einen herrlichen, viersitzigen Schlitten mit einer richtigen Deichsel
und einem Bedientensitz hinten, der mit rotem Tuch
gepolstert war. Es kam wohl vor, daß irgendwer aus dem Dorf einen Ziegenbock
lieh, der den Schlitten dann zog. Meist aber waren Andreas und Christian,
vielleicht auch Albrecht Brandt
(Anm.: Auf ihn geht Dorothee im letzten
Absatz ausführlicher ein)
oder eins der Kindermädchen vorgespannt. Christian mit Peitsche saß hinten auf
dem roten Sitz, und dann klingelten wir durchs Dorf, ganz ungefährlich, weil es
keine Autos gab. Besondere Freude war es, wenn wir zum alten Vater Tschisank
fuhren, der an einem Tage mit mir Geburtstag hatte, und dem ich gratulieren
mußte mit einem Korbe frischer Pfannkuchen, die Mutter gebacken hatte.
(Anm.: Geburtstag für beide also der 7.
Februar. Tschisank kam und kommt als Name in den verschiedensten Schreibweisen
in Reinswalde vor. Eindeutige Zuordnungen sind nach heutigem Stand nicht
möglich gewesen.
Der genannte "alte Vater Tschisank " wird wohl ein Kind oder
Enkelkind der folgenden Namensträger von 1812 sein, da in der Steuerliste am
15.5.1812 erstmals eine Familie dieses Namens in Reinswalde genannt wird: Auszügler Andreas Tzschiesang wohnt mit seiner Frau bei Gärtner Gottlieb
Tzschiesang, vermutlich beider Sohn.
Bekannter sind sicher Hermann Hänisch, er wohnte 1938 mit seiner Frau
Klementine, geb. Schiesantk und den Kindern Gerhard und Paul Dorfstr. 117; und
Adolf Weinert, Landwirt und Fleischbeschauer von der Dorfstraße 42, war mit
Pauline Tschiesank verheiratet; beider Kind Lina war verheiratet mit Walter
Hänisch, dem Sohn von Müller-Hänisch.)
Als
Spielplatz sehr beliebt war der "Sängerberg", eine sandige Anhöhe mit
Kiefern bewachsen, die an einer Stelle steil abfiel zu einer Sandgrube und
einem kleinen Tümpel. Hier, oberhalb des Dorfes, versammelten sich am
Ostermorgen bei Sonnenaufgang, also gegen 5 Uhr, die Sänger und Posaunenbläser
und ließen die ersten Osterlieder durchs Dorf tönen, zogen dann alle zum
Friedhof und schmückten die Gräber.
(Anm.: siehe auch Sorauer Heimatblatt März
1997 Seite 4, Osterzeit und Ostern in Reinswalde)
Die
weitausgedehnten Kiefernwälder mit Moos und Pilzen waren für die Eltern und
Kinder beliebte Spazier- und Wanderwege, besonders wenn es an Berghänisch's
Teich vorbeiging, wo die großen Wasserrosen blühten. Der weiteste Weg, den ich
mitgemacht habe, ging nach dem ein paar km entfernt liegenden Dorfe Nimpsch am
Bober, dazu mußte man auf einer richtigen Furt, die durch große Steine bezeichnet
war, durch den für unsere Begriffe schon sehr breiten Bober waten. Erwachsene
und Kinder zogen also Schuhe und Strümpfe aus und gingen durch das seichte
Wasser. Ich als Kleinste wurde dem langen Vetter Eduard, der gerade zu Besuch
bei uns war, auf die Schulter gesetzt. Mitten im Fluß glitt er wohl aus, und
ich fiel ins Wasser, mußte dann bei den Gemeindegliedern, die Vater besuchte,
Kleider und Schuhe leihen, und in solcher Verwandlung wurde ich trocken wieder
nach Hause gebracht. In Nimpsch war man dann schon in Schlesien.
Durchs
Dorf schlängelte sich über Steine durch die Wiesen ein reizender kleiner Bach,
an dem Weidenbüsche und Erlen standen, es war herrlich auf den großen Steinen
zu springen und zu laufen, anstatt über das Brückchen und auf dem Wege zu
gehen. Seitwärts davon lag ein großer Teich oder irgendein stehendes Gewässer,
wahrscheinlich ein alter Wallgraben, der einmal eine Wasserburg eingeschlossen
hatte, wohl noch aus der alten wendischen Zeit her. Jetzt lag dort ein großer
Bauernhof, der dem Bauer "Wallwuntke" gehörte. Mit Gruseln hörten wir
erzählen, daß unter dem Wallgraben durch einen unterirdischen Gang zur alten
Kirche im Dorf führte, der aber jetzt durch eine schwere Eisengittertür
abgeschlossen war. Wir stellten uns das als ein Verließ für Räuber vor.
Die
sehr schöne alte Kirche, wohl noch aus dem Mittelalter stammend, stand ungefähr
mitten im Dorf, erhöht über der Hauptdorfstraße und wirkte mit der hohen
Einfassungsmauer wirklich wie eine Fluchtburg. Über die Straße weg, tief unten,
lag das große evangelische Pfarrhaus, ein wunderschöner stattlicher Bau, der
mit dem hohen Dach fast wie ein Barockbau aussah. Es war aber, wenn man
hineinkam, düster und feucht; nach der von der Straße entgegengesetzten Seite
kam man durch einen großen Garten ganz in die Nähe von dem mit grüner
Entengrütze bedeckten Wallgraben.
(Anm.: Im Sorauer Heimatblatt März und
April 1996 sind Bilder von der ev. Kirche innen und außen, vom Pfarrhaus und
der Schule zu bewundern.)
Ich bin wohl nur ein- oder zweimal in das Pfarrhaus gekommen, aber Hanna
verkehrte etwas mit einer Tochter von Pastor Lukas. Der war noch lutherischer
als wir. Er ist später, nach unserer Zeit, zu den Missouriern nach Sachsen
gegangen, liegt aber in Reinswalde begraben. Auf seinem Grabkreuz las ich nach
Jahren nichts als seinen Namen und darunter:
"Hier kommt ein
armer Sünder her,
der gern ums Lösgeld selig wär."
(Anm.: Paul Wilhelm Heinrich Alexander Lucas,
von 1881 - 1900 ev. Pfarrer in Reinswalde; * Berlin 26.6.1841, † Reinswalde
29.7.1900, Reinswalde, ¥ Berlin 4.7.1870 Martha Jacoby-Lebus);
dieses Wissen " ... las ich nach Jahren ..." stammt wohl aus ihrer
Zeit als Lehrerin in Reinswalde.
Gern
besuchten wir im Dorf die kleine Mutter Mielisch mit ihrer noch kleineren und
buckligen Tochter Mariechen, die sich durch Nähen unterhielten. Vater hatte ihr
von Herrn Wilke in Guben eine schöne Nähmaschine besorgt, auf die sie sehr
stolz war. Wenn wir dort waren, gab es für uns Kinder immer irgendeine süße
Kleinigkeit, und Andreas mußte dann sein Lieblingslied singen:
"Die armen Heiden
dauern mich, denn ihre Not ist groß."
Manchmal
wurden wir auch zu Kaffee und Kuchen bei der Besitzerin des hübschen Hauses,
Frau Wolff, eingeladen. Dann durften wir auf dem Heuboden spielen. Sie war eine
wohlhabende Witwe und hatte ihr großes Gut an den alten August Hübner verkauft.
Ihr einziger Bruder war vornehm geworden, hatte studiert, ohne aber etwas
Ordentliches damit zu erreichen. Seine Besuche im Dorf bei der Schwester waren
unerfreulich, denn er trank.
(Anm.: August Hübner, [Nr. 96 des
Adreßbuches], Dorfstr. 126, Alt- Bürgermeister, Großvater von Christa Woithe,
Cottbus; siehe auch Abschnitt Kinderfest am Sedanstag).
Aber
noch viel interessanter war der Haupttrunkenbold des Dorfes, der Krauseflöter,
Schwager unsrer guten Clementine Schmidt, die dann einen Flöter heiratete.
Krauseflöter ging alle paar Wochen schwer betrunken durchs Dorf und torkelte
manchmal den Kirchviehweg hinauf an unserm Hause vorbei, mit dem Stock
fuchtelnd, auf den Pastor schimpfend und fluchend, manchmal auf französisch;
denn er rühmte sich gern seiner höheren Bildung.
Hänisch Herrmann, [62], laut
Adressbuch von 1938: Landwirt;
geboren am 23.1.1880 , gestorben am 5.3.1941;
Ehefrau: Clementine geb. Schmidt,
geb am 29.7.1881 gestorben 1.2.1963 in Ablaß;
Kinder: 2 Söhne Gerhard Hänisch
und Paul;
Wohnte in Reinswalde: Dorfstraße
117.
Dorothee Schöne wurde am 7.2.1885 geboren, ihre Erinnerung an "unsre gute
Clementine Schmidt" läßt auf "Babysitten bei Pastor Schöne"
schließen, nur bei "Ehemann Flöter" hat sie geirrt.
Quelle: Das Dorf-Archiv von Reinswalde mit Stand vom 6.10.1997
(Anm.: Hier wird zwar etwas Unerfreuliches aus dem
Dorfalltag berichtet; doch auch diese Episode gehört zur Geschichte des Dorfes
Reinswalde und darf nicht verschwiegen werden. Leider ist der Begriff
"Krauseflöter" bisher nicht zu "knacken" gewesen.
Verbindungen zu vorherigen und nachfolgenden Generationen waren nicht
herzustellen, obwohl beide Namen 1938 in Reinswalde nachgewiesen sind - also
nur Mut Ihr "Krause- und Flöter-Nachfahren". Entsprechende Hinweise
werden von Klaus Winkler und mir dankbar entgegengenommen.)
Einmal kamen wir Geschwister, Hanna,
die Jungen und ich, von Benau her, wohin wir Vater zur Bahn gebracht hatten.
Plötzlich hörten wir hinter uns Schritte, Grölen und Schreien. Es war
Krauseflöter, vor dem wir entsetzliche Angst hatten, weil er immer mit dem
Stock nach dem Pfarrhaus hin drohte. Wir liefen so schnell uns die Beine trugen
und entwischten glücklich durch die Kornfelder zwischen den hohen Halmen durch.
(Anm.: Die feierliche Eröffnung des Reinswalder
Bahnhofes am 15. Juli 1893 erklärt diesen langen Spaziergang nach Benau und
zurück. Dorothee Schöne hat durch den Wegzug der Familie 1892 nach Ohlau dieses
große Ereignis nicht miterlebt. Ich bin aber sicher, daß sie und später ihr
Besuch die Vorzüge dieser Bahnstation in Anspruch genommen haben.)
Eine
andre, wenn auch kleinere Angst waren die Gänse, die aus einem Bauernhof heraus
schrien und hinter uns her kamen, wenn wir drei hinter der Hecke her zum
Wagnerschuster gingen, der unsre durchgestoßenen Schuhe vorn mit Blechkappen
abdeckte. Christian pflegte mit einem Stock die Gänse zu necken, aber ich bin
nur einmal in die Wade gezwickt worden.
(Anm.: Der Name Wagner und der Begriff
Schuster kommen 1938 in Reinswalde im Adressenverzeichnis getrennt vor. Einmal
in Verbindung zu Schuhmachermeister Traugott Bogisch (genannt
Schuster-Bogisch), Dorfstr. 65 - Sohn Emil Bogisch war Bauunternehmer und
Zimmermeister; und dann zu dem 1880 geborenen Paul Winzer, genannt
Winzerschuster, wohnhaft Dorfstraße 130. Der von Dorothee Schöne erwähnte Name
"Wagnerschuster" ist wohl dem Schwiegervater der 1938 genannten Witwe
Auguste Wagner, geb. Berthold zuzuordnen, sie wohnte Dorfstraße 52; das Haus
lag etwas abseits der Hauptstraße - Nachbarn waren seitlich Gastwirt Blobel,
rückwärtig Hermann Lehmann und gegenüber Gustav Wolf. Ihre Tochter Frieda ist
mit Gustav Kräske, Dorfstraße 166 verheiratet - im Oberdorf zwischen August
Lehmann und Hermann Pohl.
Mutter
hielt uns frühzeitig zu allerlei Pflichten an, Vater ordnete das Jäten im
Garten an, das besonders für Albrecht und Christian eine schwere Anfechtung
war. Wie oft hat Andreas den beiden Faulen große Stücke Arbeit abgenommen. Für
mich war es eine Prüfung, wenn ich kleine Brüder im Kinderwagen fahren mußte,
hauptsächlich den kleinen niedlichen Paul. Denn damals ließ man die Babies noch
nicht ruhig stehen und schreien, sondern sie mußten eben hin und her gefahren
werden. Tante Luise Karbe hat mich oft damit geneckt, daß ich das Brüderchen im
Kinderwagen durch den großen Hausflur schob in einem rasenden Tempo, daß der
Wagen hinten anstieß, daß es nur so krachte - und dabei zum Einschläfern des
Kleinen mit schriller Stimme gesungen hätte:
"Wach auf mein
Herz und singe!"
Etwa
1889 kam Albrecht Brandt, etwa 8 oder 9 Jahre alt zu uns ins Haus.
(Anm.: Albrecht wird einige Abschnitte
zuvor bereits einmal bei der Schlittenfahrt durchs Dorf erwähnt.)
Er war ein Neffe von Onkel Christophs erster Frau, Tante Marthe. Seine Eltern
starben früh und hinterließen wohl 4 oder 5 unversorgte Kinder. Da Tante Martha
damals schon krank lag und sie in kümmerlicher wirtschaftlicher Lage waren,
nahm Vater den kleinen Albrecht zu uns 5 noch dazu. Er blieb bis zur
Übersiedlung nach Ohlau bei uns, kam dann in ein Waisenhaus nach Potsdam.
Albrecht war ein guter Spielkamerad, aber faul und gefräßig, konnte nie die
lateinischen Vokabeln und saß immer irgendwo mit Bock (zum Sitzen) und Buch
(latein. Grammatik) herum. Mutter war er nicht sympathisch, aber sie hat es ihn
nie fühlen lassen, und er hat bis in sein Alter hinein eine schwärmerische
Dankbarkeit und Anhänglichkeit an das Reinswalder Pfarrhaus sich bewahrt.
Reinswalde war und blieb für ihn das Kinderparadies, und er gelobte sich, seine
Kinder einmal gleich spartanisch zu erziehen, mit Roggenmehlsuppe zum 1.
Frühstück und bei Tisch auf einem 3-beinigen Bock sitzend, damit man sich nicht
anlehnen konnte. Aber nur die drei Jungen hatten solche Böcke. Heut sitzt die
Jugend auf Barhockern vor der Theke, und sie trinken Cocktails.
(Anm.: Ende der Kindheitserinnerungen)
Von
1907 bis Ende 1908 war ich dann als 2 Lehrerin in Reinswalde angestellt, wo ich
viel Anhänglichkeit und Zutrauen erfahren habe von Vaters früheren
Gemeindekindern. Ich wohnte dort ganz allein im kleinen Schulhaus und habe das
sehr genossen, hatte auch zeitweise wochenlang Besuch von Hanna, Tante Luise,
einmal auch von Martin und Johannes.
Am 8.
Okt. 1908 heiratete Hanna Martin Kregel, damals Pastor in Schwirz. Sie ist sehr
glücklich gewesen, wenn auch nicht ohne Trübung und Verzichtenmüssen. Sie hat
keine Kinder gehabt. Mutter war nun allein mit den jüngsten Brüdern, die noch
zur Schule gingen - und mit mindestens 4 Pensionären, die sie noch haben mußte,
um mit der kleinen Witwenpension die 3 Jüngsten fertig zu kriegen. Ich gab also
Reinswalde auf und war vom 1. Januar 1909 an wieder Haustochter.
(Anm.: Bei den "Pensionären" handelt es sich
um Schüler, die mit im Haus wohnten.
Tja, liebe Reinswalderinnen und liebe Reinswalder und Ihr vielen anderen
Leserinnen und Leser. Das war sie nun, die noch einmal in Gedanken erlebte
Kindheit unserer Dorothee Schöne, von der man zu Recht behaupten kann, sie
"wuor a echt Reenswaaler Maa(i)chen". Pastor Schöne war am 12.1.1906
in Ohlau verstorben. Was lag da näher, als mit dem knappen Hinweis zu
schließen, mit dem sie viele Seiten später in ihren Lebenserinnerungen noch
einmal eine kurze Zeit Reinswalde erlebte, dann Abschied nahm und als
Haustochter ins vaterlose Elternhaus nach Ohlau zurückkehrte.)
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Reinswalder
Erinnerungen 1900 - 1945
von Martha Lehmann,
geb. Grätz
Die
nachfolgenden Aufzeichnungen sind handschriftliche Erinnerungen von Martha
Lehmann, geb. Grätz (* 20.1.1895, † ..... 7.6.1964), der Mutter von Ella
Friebe, geb. Lehmann, * Reinswalde 16.10.1919, † Görlitz 3.1.2006. Es handelt
sich hier um die Familie von Max Lehmann, die zur Miete bei Gerhard Gärtner in
Reinswalde, Dorfstr. 20 wohnten.
Ella Friebe wohnte zuletzt in 02826 Görlitz, Demianiplatz 19-20
(Stand:1.6.200225.
September 2014).
Etwa in der Mitte des Textes beendete ich am 23.11.2000 die
Abschrift der von meinem Cousin Helmuth Merkwirth überlassenen Kopie eines DIN
A 5 Schreibheftes mit dem Satz "Das Heizen der Öfen übernahmen etliche
Brüder ...". Kopien von Klaus Winkler unterbrachen den Text ebenfalls an
dieser Stelle im Jahr 1933, die Erinnerungen werden aber mit Lücken zwischen
1933 und 1935 fortgesetzt!
Erst am 1.6.2002 erhielt ich das Original von Herrn Krause, Dortmund und konnte
die fehlenden Textteile einfügen.
Ein Abschnitt aus
dem Leben unsrer ev.-altluth. Gemeinde zu Reinswalde von 1900 - 1945
In den
Jahren vor dem ersten Weltkriege fanden in der Gemeinde Reinswalde etliche Missionsfeste
statt, das letzte 1913 geleitet von unserem lieben Pastor und Sup. Pfaff. Umrahmt von den Klängen des Posaunen- und
Kirchenchors. Missionare und Missionsdirektoren waren dazu eingeladen.
Vormittag war Festgottesdienst in der Kirche. Nachmittags fand die Nachfeier
bei schönem Wetter im Pfarrgarten statt. Sie berichteten uns von ihrer Arbeit
draußen unter den Heiden, es währte oft lang, bis ihre Arbeit Erfolg hatte,
aber auch welchen und wieviel Gefahren sie ausgesetzt waren. Auch von der Innern-
und Judenmission wurde uns berichtet. Andächtig lauschte die Gemeinde den
Worten der Missionare. Die Gaben dieses Festtages waren für die Mission.
Im Jahre
1907 legte der zweite Lehrer unserer Schule, der Lehrer Julius Schulz aus
gesundheitlichen Gründen sein Amt nieder und zog nach Lübben. An seine Stelle
kam die Lehrerin Dorothea Schöne, Tochter des Pastors Schöne, welcher einmal
Pastor der Reinswalder Gemeinde war. Aber schon nach 2 Jahren 1909 ging sie
wieder weg, und ging nach Militsch.
(Anm.: Das stimmt so nicht ganz, sie war zwar von April 1907 bis
Dez. 1908 in Reinswalde 2. luth. Lehrerin und ging dann als Haustochter ins
vaterlose Elternhaus nach Ohlau zurück; doch nach Militsch zog ihre Schwester
Hanna mit ihrem Mann, der dort Pfarrer wurde; s. Erinnerung Dorothee Schöne im
Sorauer Heimatblatt August 1997 ff.)
An ihre
Stelle trat nun unsre liebe langjährige Lehrerin Frl. Mathilde Pfaff, Tochter
des Pastors und Sup. Wilhelm Pfaff, welcher in dieser
Zeit Pastor der Gemeinde war.
Recht
segensreich waren dazumal die Christenlehren, oder wie wir sagten, die
Betstunden, sie wurden jeden Sonntag Nachmittag von Ostern bis Erntedankfest
gehalten. Daran nahmen alle Schulkinder, die konfirmierte Jugend bis zu 20
Jahren und auch viele Gemeindeglieder teil. Da unsre Gemeinde sehr groß war,
hatte sie der Pastor in 4 Teile eingeteilt, die Konfirmierten, welche nun in
dem Viertel wohnten, hatten dann ihren Betsonntag. Daran nahmen auch die
auswärtigen Konfirmierten teil. Die Letztkonfirmierten gingen soviel es möglich
war jeden Sonntag. Sie versammelten sich vorm Pfarrhaus und gingen geschlossen
mit dem Pastor in die Kirche. Sie nahmen in der ersten Bank Platz. Die ältere
Jugend gingen nach Jahrgängen. Es waren wirklich segensreiche Erbauungsstunden,
da es ja immer eine Wiederholung des Katechismus und der Lieder war, auch
wurden Neue dazugelernt. Als aber der Zeitgeist die Jugend immer mehr in seinen
Bann zog, wurden die Stunden gleich nach dem Gottesdienst gehalten. Das war
dann wenige Jahre vor dem 2ten Weltkriege.
1910
konnte Pastor Pfaff sein 40jähriges Amtsjubiläum feiern. Vom
Oberkirchenkollegium war er auch zum Superintendent der Niederschlesischen
Diözese berufen worden. Dieses Amt verwaltete er als ein treuer Diener des
Herrn. 1912 starb ihm seine liebe Lebensgefährtin, unsre liebe Frau Pastor.
Im
Sommer 1913 wurde das Innere der Kirche durch Malermeister Bergmann aus
Grünberg erneuert. Er ist dann später mit seiner Frau nach Reinswalde gekommen.
Er wurde dann auch als Kirchenvorsteher und Rendant der Gemeinde gewählt.
(Anm.: In den Aufzeichnungen im Dorf-Archiv von Klaus Winkler heißt
es: Julius Bergmann, ..., zugezogen aus Berlin ca. 1910.)
Über dem Altarraum standen die Worte "Ein feste Burg ist unser Gott"
und zu beiden Seiten Bibelsprüche. Über der Eingangstür im Turm "Bewahre
deinen Fuß wenn du zum Hause Gottes gehest, und komm, daß du hörst." Pred. 4,11.
Im
August 1914 brach der erste Weltkrieg aus und viele Brüder der Gemeinde und des
Dorfes wurden zu den Fahnen gerufen, da gab es manchen schweren Abschied, bei
manchen für immer. Bald kamen auch die ersten Nachrichten, daß etliche Lieben
gefallen waren. Nun kam es an unsern lieben Pastor Pfaff, welcher nun seines
schweren Amtes walten mußte, um die Hinterbliebenen zu trösten und er tat es in
liebevoller väterlicher Weise, da er ja in der Gemeinde wie ein Vater waltete
und von den Meisten Vater Pfaff genannt wurde.
1917
mußte die Gemeinde zwei ihrer schönen Glocken hingeben. Dies war ein schweres
Opfer für die Gemeinde, als auch für den Pastor.
(Anm.: Die kleine lutherische Glocke hängt heute zusammen mit der
mittleren Glocke - die mit dem beschädigten Rand und dem Durchmesser von 90 cm
- aus dem Geläut der evangelischen Kirche von Reinswalde in der lutherischen
Kirche. Durch die Minuskelumschrift hat sie sich letztendlich zu erkennen
gegeben: "o rex glorie veni cum pace. ave maria gracia plena dominus
tecum" ("O König der
Herrlichkeit komm mit Frieden. Gegrüßet seist Du Maria voller Ehre. Der Herr
sei mit Dir.") Wie zu allen Zeiten getrennt, tragen sie heute beide
gemeinsam ihre Botschaften weit in das Land hinaus. (s.a. Sorauer Heimatblatt 3
+ 4/1996: Aus 650 Jahre Kirchengeschichte Reinswalde)
Unser lieber
Pastor konnte im Sommer 1917 auf 25 Jahre zurückblicken, welche er in den
Gemeinden Reinswalde und Friedersdorf gewirkt hatte.
(Anm.: Zur Entlastung von Pfarrer Friedrich Georg Samuel Biehler in
Guben (Schönes Vorgänger in Reinswalde von 1864 - 1881) wird 1888 die Gemeinde
Friedersdorf von Guben getrennt und als Gastgemeinde in den Verband der Parochie
Reinswalde aufgenommen. s. Erinnerung Dorothee Schöne im Sorauer Heimatblatt
August 1997 ff.)
Bei der Feier freute
er sich schon auf sein 50jähriges Amtsjubiläum. Aber der Herr hatte es anders
in seinem Ratschluß beschlossen. Als 1918 der Weltkrieg seinem Ende nahte,
legte unser lieber Pastor und Seelsorger sein müdes Haupt zum letzten Schlummer
nieder. Nach kurzer schwerer Krankheit holte ihn der Herr am 5. Nov. in sein
himmlisches Reich, im Alter von fast 75 Jahren und im 49. Amtsjahre. Er darf schauen,
was er geglaubt und gepredigt, seinen Herrn und Heiland. Er starb, wie er es
sich wünschte, in den Sielen einer reichgesegneten Amtstätigkeit. Als die Kunde
durch unser Dorf eilte, unser lieber Pastor sei heimgegangen, wollte Niemand
die traurige Nachricht glauben. Hatte er ja noch zuvor an manchem Kranken- und
Sterbebette gestanden, da ja eine tückische Krankheit unser Dorf heimsuchte. Er
wurde unter großer Anteilnahme der Gemeinde von nah und fern am 8. Nov. auf dem
Reinswalde Friedhof beerdigt. An seinem Sarge wie auch zu seinem Gedächtnis
sangen wir sein Lieblingslied "Mitten wir im Leben sind, von dem Tod
umfangen." Die Leichenrede hielt sein Schwiegersohn Pastor Burgdorf. Am
Grabe sprach Pastor Matschoß aus Bunzlau. Auch etliche andere Pastoren begleiteten
ihn zu seiner letzten Ruhestätte.
(Anm.: Es wird auch der 9. Nov. als Beerdigungstag genannt.);
Die Gemeinde war Waise geworden. Auch etliche Trauerbotschaften kamen noch, von
denen, welche noch in den letzten Tagen ihr Leben gelassen hatten. Gefallen
waren aus unsrer Gemeinde 36 und 5 Brüder starben noch an den Folgen des
Krieges. Sie starben für uns! Und schlafen jenen großen Auferstehungsmorgen
entgegen. Zu ihrem Gedenken wurden zwei Tafeln befestigt mit ihren Namen.
(Anm.: Der Teil einer Tafel befindet sich in meinem Besitz, ist
14,5 cm breit und 36 cm hoch, der untere Rand ist leicht nach oben ausgerundet.
Das Holz ist durch seine Trockenheit in einem guten Zustand, auch die Schrift
ist gut erhalten. Leider sind auf diesem Teil Namen nur bruchstückweise zu
entziffern, z. B. Wierz, Ai..., Ba...,
P..., Raben...; deutlich dagegen sind Monatsnamen und Jahreszahlen zu lesen.
Neben anderen Stücken entdeckte ich diesen Teil der Erinnerungstafel bei
systematischer Suche im Kirchturm der luth. Kirche. Diese Familiennamen kommen
so in Reinswalde nicht vor, allerdings gehörten zum Einzugsbereich der luth.
Gemeinde ebenfalls Familien aus den umliegenden Dörfer bis zum Bober.)
Im
Frühjahr 1919 schenkte uns Gott der Herr einen neuen Pastor. Die Gemeinde wählte
den Schwiegersohn unsers Pastors, Pastor Albert Burgdorf zu seinem Nachfolger,
welcher bis dahin Seelsorger der Sorau-Saganer Gemeinde war. Bald hielt er mit
seiner Familie seinen Einzug in Reinswalde.
(Anm.: Burgdorf war mit der ältesten Tochter Emilie von Pastor
Pfaff verheiratet,; er war also auch Schwager zu Mathilde Pfaff..)
Die Gemeinde und
auch die Chöre bereiteten ihm einen herzlichen Empfang. Das Gemeindeleben ging
seinen altgewohnten Gang weiter. Nur den Turmbauverein, welchen Pastor Pfaff
1896 gegründet hatte, löste Pastor Burgdorf in "Jünglings- und
Jungfrauenverein" auf.
Am 26.
August 1923 konnte mit Gottes Hilfe wieder ein Missionsfest gefeiert werden,
das Erste seit 1913. Dies war wieder ein Freudenfest nach soviel Jahren. Viele
Gäste waren gekommen von nah und fern. Der Gottesdienst wurde eingeleitet mit
einem Missionsliede. Wir wurden im Vormittagsgottesdienst wie auch am
Nachmittag durch die Predigt und die Berichte hingeführt auf die
Missionsfelder. Wir hörten von den großen und kleinen Nöten der Mission in den
Kriegs- und darauffolgenden Jahren, aber auch von den gesegneten Erfolgen und
Gnadenerweisungen Gottes. Habe der Krieg dem Missionswerk auch schwere Wunden
geschlagen, so sei es ob geschlagen doch nicht zerschlagen. Mußten auch viele
Missionare draußen ihr Arbeitsfeld verlassen, so erwählte Gott der Herr unter
den Heidenchristen Hirten und Seelsorger, welche ihren Schwestern und Brüdern
das Evangelium verkündigten. Auf etlichen Stationen konnten die Missionare und
Diakonissen bleiben und ihre Arbeit fortsetzen. Die in die Heimat
zurückgekehrten Missionare wurden als Pastoren eingestellt, hofften aber wieder
hinausgehen zu dürfen um den Missionsbefehl unser Heilandes fortzusetzen. Die
Kollekte wurde für die Mission bestimmt und der Herr segnete Geber und Gaben.
Im Juni
1924 konnte die Gemeinde ihr 75jähriges Gemeindejubiläum feiern. Auch dieses
Fest war eine große Freude für die Gemeinde. Die Kirche war mit frischem Grün
und Girlanden geschmückt. Gäste waren gekommen von nah und fern. Etliche
Pastoren waren zugegen, wie Oberkirchenrat Nagel, Sup.
Wichmann und Pastor Jungermann. Sonnabend Abend wurde schon eine Andacht im
Pfarrgarten gehalten. Die Festpredigt am Sonntag hielt Oberkirchenrat Nagel
oder Sup. Wichmann. Die Nachfeier am Nachmittag
konnte, da schönes Wetter war, im Pfarrgarten stattfinden. Auch hier hatte sich
wieder eine große Gemeinde versammelt. Der Ortspastor begrüßte die Gemeinde und
die Pastoren legten ihrer Andacht ein Gotteswort zu Grunde. Oberkirchenrat
Nagel führte die Gemeinde in seiner Andacht an ein Erbsenfeld. Er sagte, die Erbsranken seien so fest ineinander verankert, daß sie
trotz allen Anstrengungen nicht auseinander gingen, auch wenn noch so fest
gezogen würde, sie halten fest zusammen, zöge man an einem Ende, so wackelt das
ganze Feld und auch dem Sturm halten sie stand. Nun seien auch die luth.
Gemeinden schweren Religionsstürmen ausgesetzt gewesen. Nun sei auch die
Reinswalder Gemeinde davon nicht verschont geblieben. Als nun Pastor Bürger
1835 nach Reinswalde kam und die Union und neue Agende eingeführt hatte, aber
er wurde bald inne, daß er die Gemeinde einen falschen Weg geführt hatte,
wollte er mit seiner Gemeinde wieder zu der luth. Kirche zurückkehren.
Dies
geschah dann 1849. Zuvor gab es einen sehr harten Kirchenkampf. Zuerst aber
blieben Sie alle standhaft und hatten
zusammengehalten wie ein Erbsenfeld. Die Ranken seien auch der Glaube an das
Wort Gottes und an Jesum Christum.
Trotzdem nun die Stürme der Zeit unsre liebe Reinswalder Gemeinde auseinandergerissen
haben, und wir alle hin und her zerstreut sind, verbindet uns, daß überall die
Liebe zu der luth. Kirche um der Wahrheit willen und dies eine Ziel Jesus
Christus.
Pastor
Jungermann sprach über das Wort "Gedenke der vorigen Zeiten". Er, ein
Reinswalder Kind, gedachte zuerst an seine Kindheit, welche er in Reinswalde
verlebt hatte und erzählte eine heitere Geschichte aus seiner Kindheit, welche
sich bewiesen hat bis in die spätere Jugend, dann aber noch Erfüllung wurde.
(Anm.: Wenn er schon selbst aus seiner Kindheit in Reinswalde
berichtet, dann muß er ein Sohn von Kantor und Lehrer Jungermann sein, der von
1873 - 1900 an der
luth. Schule tätig war.)
Dann aber gedachte
er auch der Väter in den schweren Tagen und Jahren des Kirchenkampfes. Als
ihnen nun die Kirche, Schule, Pfarrhaus und auch das Kirchengut genommen wurde,
kehrte etwa ein Viertel der Gemeinde in die unierte Landeskirche zurück, der
größte Teil aber blieb fest. Konnten sie ja später eine neue Kirche, Pfarrhaus
und Schulhäuser bauen. 1904 wurde der Turm gebaut und 3 Glocken angeschafft. An
diesem Tage erklangen viele Lob und Danklieder, auch das Lied wurde gesungen,
"Sie ist mir lieb die werte Magd". Ergreifend war es immer, als der
Pastor dann bei den Jubiläumsfeiern das Hirtenschreiben verlas, mit welchem das
Oberkirchenkollegium die Gemeinde Reinswalde 1849 begrüßt hatte. So war der Tag
verklungen, aber auch mit Gottes Hilfe gut gelungen und noch lange in
Erinnerung geblieben.
Nun
hatte die Gemeinde und auch der Pastor den Wunsch ihre zwei Glocken wieder
anzuschaffen, welche sie im Weltkriege hingegeben hatten. Der Pastor und die
Vorsteher baten um freiwillige Gaben und es dauerte gar nicht lange, so konnten
die Glocken bestellt werden. Im Mai 1925 kam der ersehnte Tag, wo die Glocken
am Bahnhof Sorau abgeholt werden konnten. Welche große Freude! Am Eingang des
Dorfes wurden sie feierlich empfangen und mit Girlanden geschmückt. Im
festlichen Zuge ging es zur Kirche. Voran der Posaunenchor, die Schulkinder und
die Jugendvereine, dem Wagen folgte ein großer Teil der Gemeinde.
(Anm.: Das Bild der feierlichen
Glockenweihe ist im Sorauer Heimatblatt Sept./Okt. 1990 zu bewundern, die
Berichtigung zur Bildunterschrift im Nov. 1990, S. 20)
Bei der Kirche
angekommen, hielt Pastor Burgdorf eine kurze Andacht. Mit einem Lob und Danklied wurde diese Feierstunde beendet. In etlichen Tagen
wurden sie unter reger Anteilnahme der Gemeinde hochgezogen. Am Sonntag Rogate,
den 17. Mai wurden sie zur Ehre Gottes geweiht. Die Weihrede
hielt Pastor Burgdorf. Am Nachmittag fand noch eine Nachfeier im Pfarrgarten
statt. Zur Freude der Gemeinde erklangen nun wieder alle drei Glocken und
riefen weit über des Dorfes Grenzen hinaus, O Land, Land höre des Herrn Wort.
Nicht nur zur Freude allein erklangen sie, sondern auch die Heimgegangenen
begleiteten sie auf ihrem letzten Wege, und Sonntag für Sonntag riefen sie die
Gemeinde zum Gottesdienst.
1926
wurden noch etliche Posaunen angeschafft, so daß wieder ein vollständiger Posaunenchor
bestand. An einem Sonntagvormittag Gottesdienst wurden sie eingeweiht,
Nachmittag fand noch eine Nachfeier im Pfarrgarten statt.
(Anm.: Leiter des Posaunenchores der lutherischen Gemeinde war
später Ernst Winkler - es gibt ein schönes Foto mit ihm und dem Posaunenchor -
, er ist Vater unseres rührigen Dorfbetreuers Klaus Winkler; wer kennt die
beiden Reinswalder Urgesteine nicht!)
1927 konnte der
älteste Kirchenvorsteher Traugott Heinze sein 40jähriges Jubiläum als
Schulvorsteher feiern. Auch konnte die Gemeinde ihr 50jähriges Kirchweihfest
feiern. Im Herbst 1927 gründete Pastor Burgdorf den Frauenverein. Viele Frauen
folgten dem Rufe, und der Verein zählte 60 - 70 Mitglieder, und wurde alle 14
Tage Sonntagnachmittag gehalten. Welche frohe Stunden des Beisammenseins.
Konnte sich ja jede Vereinsschwester zu ihrem Geburtstag ein Lied wünschen. So
erklangen oft 8 - 10 Lieder von ganz neuen und längst verklungene Weisen.
Viele, welche bei Kantor Jungermann im Kirchenchor gesungen worden waren. Er ist
ja auch der Gründer des Kirchenchores gewesen. Von den älteren Frauen wurde
gern gesungen, Sieh mein Auge nach den Bergen, der Herr ist mein getreuer Hirt
und reines Wort und Sakrament.
Am 26.
Mai 1928 konnte Pastor Burgdorf im Kreise seiner Lieben und seiner Gemeinde
seinen 50. Geburtstag feiern. Die Gemeinde und der Frauenverein ehrte ihn in
einer Feierstunde und erfreute ihn mit schönen Geschenken. Im Herbst desselben
Jahres feierte der Frauenverein sein einjähriges Bestehen. Dazu war der Sorauer
Frauenverein geladen. Nachmittags bei Kaffee und Kuchen und Liederklang im
frohen Kreise. Abend fand eine Nachfeier statt, wozu die Gemeinde eingeladen
war, die Jugend führte ein Stück aus der Verfolgungszeit auf und die Frauen
ließen ihre Lieder erklingen. Zu solch einer Feier fehlte immer Saal, deshalb
fanden solche Feiern immer im Saale des Herrn Blobel statt. Es war ja der
Wunsch des Pastors und auch der Gemeinde, solch einen Gemeindesaal zu bauen,
aber es ist bei dem Wunsch geblieben.
Im
Frühjahr 1930 war der Reinswalder Frauenverein bei dem Sorauer Verein zu Gaste
geladen. 40 - 50 Frauen zu Rad und zu Auto nahmen daran teil. Stunden schöner
Gemeinschaft bei Liederklang, Kaffee und Kuchen durfte der Verein bei den
Sorauer Schwestern verleben, die ja auch durch Bande der Verwandtschaft weithin
mit Reinswalde verknüpft waren. Etliche Jahre hindurch wurde der Frauenverein
auch von einer lieben luth. Fam. im Nachbardorf zu einem frohen
Sonntagnachmittag eingeladen. Die älteren Frauen fuhren mit dem geschmückten Leiterwagen
und die Jüngeren mit den Rädern. Im Nachbardorf angekommen, empfingen uns die
Gastgeber aufs herzlichste und bewirteten uns aufs beste. Dann gingen wir
hinaus in den schönen Garten, der Pastor hielt eine Andachtstunde,
daran nahmen auch andere Bewohner des Dorfes teil. Danach wurden viele
geistliche Volkslieder gesungen. Bei dieser Gelegenheit wurde öfters das
Reinswalder Heimatlied gesungen. "Ich bin das ganze Jahr vergnügt".
In später Abendstunde kehrten wir frohen Mutes heim. Dankten Gott für diesen
gesegneten Nachmittag und nahmen etwas mit in den Alltag der Woche. Auch
konnten wir auf dem weiten Wege Gottes schöne Natur bewundern.
Auch der
Schuljugend wurde alle zwei Jahre durch die Gemeinde eine Freude bereitet, das
Kinderfest. Ende August oder Anfang Sept. wurde es gefeiert. Die Schul- und
Kirchenvorsteher sammelten freiwillige Gaben. Dann wurde alles vorbereitet. Ein
Gemeindeglied stellte einen schönen großen Platz beim Hause oder eine Wiese zur
Verfügung. Alles freute sich auf den schönen Sonntag, um 1 Uhr mußten alle
Kinder bei der Kirche sein. Der Festzug wurde zusammengestellt. Die Mädchen
waren mit Kränzen geschmückt, die Knaben trugen Fahnen, auch Lampions fehlten
nicht. Nun setzte sich der Festzug in Bewegung voran der Posaunenchor. Es ging
ein Stück durchs Dorf der Festwiese zu. Die Vorsteher begleiteten den Zug und
die Lehrer. Auf der Wiese angekommen wurde zuerst für das leibliche Wohl der
Kinder gesorgt. Danach führten die größeren Mädchen ihre Reigen und Spiele auf,
die Jungens zeigten ihr Können im Klettern und sonstige Kunststücke, was ja
auch nicht unbelohnt blieb. Mit den Kleinen spielte die Lehrerin Frl. Pfaff.
Auch sonst wurden nützliche Gaben an die Kinder verteilt. Zu schnell verflossen
die schönen Stunden und bald nahte der Abend. Der Posaunenchor verschönte
diesen Tag mit seinem Liedern. Die Kinder bekamen noch mal schönes Vesperbrot
und zum Schluß Kaffee und Brötchen. Dann wurde zum Aufbruch gerüstet. Zum
Schluß dankte der Pastor in seiner Ansprache allen denen, welche zum Gelingen
dieses Festes beigetragen hatten. Sagte aber, der größte Dank gelte Gott dem
Herrn, welcher ja der Geber aller Gaben sei und seinen Segen zu diesem Feste
gegeben habe. So wurde zum Schluß gesungen "Nun danket alle Gott".
Nun ging es noch einmal zur Kirche, dort sprach der Pastor ein Abendgebet, nach
dem Vaterunser und dem Liede "Ich bete an die Macht der Liebe" gingen
wir alle dankbar nach Hause, diese Feste haben wir heute noch in froher
Erinnerung.
(Anm.: Schon Dorothee Schöne berichtet in ihren Erinnerungen über
ein Kinderfest in Reinswalde: "Wenn am 2. Sept., am Sedanstag, das große
Kinderfest im Dorf gefeiert wurde, auf der Wiese bei August Hübners Hof, wo
eine riesenhafte alte Kastanie stand". Dieses Fest hatte also doch schon eine
längere Tradition in Reinswalde; s. Sorauer Heimatblatt Juli 1997 ff.)
Alle
Jahre zu Weihnachten hielt der Frauenverein eine kleine Feier und ladete die alten und einsamen Frauen der Gemeinde dazu ein.
Es gab Kaffee und Kuchen und die Feier wurde umrahmt von der
Weihnachtsgeschichte, Lieder und Gedichte, und der Pastor las schöne
Geschichten vor. Die lieben Gäste wurden mit einem schönen Weihnachtspäckchen
beschenkt. O, wie leuchteten da die Augen der lieben Frauen und mancher
Händedruck sagte mehr denn viele Worte. Mit dem Vaterunser und einem schönen
Weihnachtsliede wurde die Feier beendet. Auch der Jugendverein hielt unter sich
eine Weihnachtsfeier. Mit großer Freude ging es nun dem Weihnachtsfeste
entgegen.
In der Epiphaniaszeit wurde der Mission gedacht. Dann begann die
Passionszeit, in dieser Zeit begleitetet wir unsern Heiland auf seinem
Leidenswege bis zum Kreuz am Karfreitag. Jeden Mittwoch war
Passionsgottesdienst. Der Karfreitag war der stille und heiligste Feiertag des
ganzen Jahres. Am Sonnabend wurde noch alles vorbereitet auf Ostern, aber sonst
war es stille. Aber am Ostermorgen früh um drei Uhr ertönten und jubelten alle
Glocken und verkündigten die Auferstehung des Herrn. Welch feierliche Stille
des Ostermorgens. Je nach der Jahreszeit zeigten sich hie und da die ersten
Frühlingsblumen, frisches Grün überzog Wiesen und Felder und zeugte davon, daß
auch die Natur zu neuem Leben erwache. Auch ließen die Vögelchen ihre Stimmen
erklingen und verkündigten den heranbrechenden
Morgen. Während des Läutens gingen viele nach alter Sitte nach Osterwasser. Um
6 Uhr erklangen dann die Lieder des Posaunenchores und Kirchenchores vom
sogenannten Sängerberg unweit der Kirche zu Ehren des Auferstandenen Heilandes.
Viele eilten auf den Friedhof um die Gräber ihrer Lieben zu schmücken, welche
dann wie ein Blumenmeer prangten. Um 9 Uhr war Festgottesdienst mit heiligem
Abendmahl. Schon im Introitus klang es uns entgegen, Der Herr ist auferstanden,
ja, er ist wahrhaftig auferstanden. Nachmittags um 2 Uhr fand eine Auferstehungsfeier
statt. Der Pastor ging mit der konfirmierten Jugend geschlossen ins Gotteshaus,
wo sich schon ein großer Teil der Gemeinde versammelt hatte, nach einem
Osterliede hielt der Pastor eine kurze Andacht. Die Jugend bekannte dann den
Glauben und das Tauf- und Konfirmationsgelübde. Nun wurden die Namen derer
verlesen, welche von einem Ostern bis zum andern heimgegangen waren. Zu ihrem
Gedenken wurde ein stilles Gebet getan. Nach verlassen der Kirche ging es unter
Posaunenklängen zum Friedhof, auch hier wurde ein Lied gesungen. Der Pastor
hielt eine Andacht über ein Auferstehungswort. Nachdem die Jugend gesungen
hatte Wir wollen alle fröhlich sein in dieser österlichen Zeit, war die Feier
beendet, welche alle Jahre gehalten wurde.
(Anm.: Dieser Absatz, der über die Osterzeit und Ostern berichtet
ist im Sorauer Heimatblatt im März 1997 erschienen - rechtzeitig zum Osterfest
am 30. und 31. März.)
Am 3.
Januar 1931 konnte Pastor Burgdorf mit seiner Ehefrau die silberne Hochzeit
feiern. Sie wurden von der Gemeinde mit schönen Geschenken erfreut und auch der
Frauenverein erfreute sie in einer Feierstunde. Im Sommer 1931 sollte Pastor
Burgdorf auf Wunsch seines Vaters die Leitung der Samariteranstalt in
Fürstenwalde übernehmen. Er folgte dem Rufe des Vaters mit schwerem Herzen,
hieß es ja nun scheiden von seinen Gemeinden und Friedersdorf. Aber er ging.
Nach etlichen Jahren legte er sein Amt dort nieder, da die Leitung und Aufgaben
für ihn zu schwer waren. Er ging nach Rickling in
Holstein und war dort als Anstaltspfarrer tätig. Etliche Male besuchte er seine
Reinswalder Gemeinde und erfreute sie mit einem Predigtgottesdienst. Auch zum
10jährigen Bestehen des Frauenvereins 1937 war er mit seiner Frau geladen und
auch gekommen. Dazu war auch der Sorauer Frauenverein eingeladen. Die
Frauenvereine gingen geschlossen zum Gottesdienst, voran beide Pastoren. Die
Festpredigt hielt Pastor Burgdorf. Am Nachmittag hatten wir ein fröhliches
Beisammensein im Pfarrgarten und mit einer Abendandacht wurde dieses Fest
beendet. Zwischen beiden Vereinen bestand enger Verkehr, dadurch wurde das
Freundschaftsband immer mehr geknüpft. 1943 besuchte er Reinswalde noch mal, er
erfreute uns noch einmal mit einem Predigtgottesdienst und Nachmittag hielt er
eine Gedächtnisfeier für einen seiner einstigen Konfirmanden. 1944 ist er in Rickling im Alter von 66 Jahren heimgegangen. Er ruhe dort
in Frieden und auch er darf schauen, was er geglaubt und gepredigt hat, seinen
Herrn und Heiland.
(Anm.: Weitere Nachrichten und Mitteilungen über seine Familie -
hier insbesondere über das Schicksal seiner Frau - sind mir bisher nicht
bekannt geworden.)
Als nun
1931 Pastor Burgdorf Abschied nahm, mußte ein neuer Pastor gewählt werden. Von
den drei Probepredigern Fuhrmann, Liepelt und Johannes Hofmann wurde der
Letztere gewählt, welcher Hilfsprediger in Breslau war, hatte dort aber schon
eine eigne Gemeinde. Seine Heimat war Balhorn in Hessen und stammte aus einer
Bauernfamilie. Im Sept. kam er nach Reinswalde und ihm wurde ein froher Empfang
bereitet. Am 25. Okt. 1931 wurde er durch Sup.
Wichmann aus Freistadt als Pastor eingeführt. Pastor Burgdorf und Pastor
Haertwig aus Cottbus waren zugegen. Am Nachmittag fand noch eine Nachfeier im
Saale des Herrn Blobel statt. Dort erzählte er von seinen Eltern, seiner
Kindheit und Jugend und schon als Kind hatte er den Wunsch, Pastor zu werden.
Am 15. Nov. fand in seiner Heimat Balhorn seine Vermählung mit der Jungfrau
Lieselotte Siebert, Tochter des dortigen Pastor Siebert statt. Am 17. Nov.
hielten sie als junges Ehepaar ihren Einzug in Reinswalde. Große Freude und
herzlicher Empfang wurde ihnen von der Gemeinde und den Vereinen bereitet.
Pastorenfamilie und Gemeinde erfreuten sich des besten Zusammenlebens. Auch
Frohsinn und fröhliches Beisammensein wurden in den Vereinen geübt. Gott der
Herr schenkte der Pfarrfam. 4 Kinder, welche zur Freude der Eltern und Gemeinde
aufwuchsen.
(Anm.: Über Pastor Johannes Hofmann und insbesondere über seine
Frau Lieselotte sind im Sorauer Heimatblatt verschiedene Artikel erschienen, z.
B. der Dank der Reinswalder im Februar 1985, Seite 9 und der Nachruf nach ihrem
Ableben am 18.4.1991 im Juni 1991, Seite 7. Auch "Kirche aktuell"
berichtet 1995 über Balhorn, Frau Seefeld, verw. Hofmann, geb. Siebert und die
Ereignisse, die 1945 begannen und darüber, warum vor 50 Jahren in Balhorn und
um zu ein Reinswalder Nest entstanden ist. "Unsere Frau Pastor"
Hofmann hat durch ihre selbstlose Hilfsbereitschaft nach 1945 unauslöschlich in
jedem Herzen der Reinswalder ihren festen Platz. Unseren Nachkommen sei daher
empfohlen, gerade dieser Frau ein ehrendes Andenken zu bewahren.)
1931
legte auch der Kantor und Lehrer Johannes Hoffmann sein Amt nieder und trat in
den Ruhestand. Über 40 Jahre war er an der ev.-alt-lutherischen Schule tätig.
Er versah das Küsteramt in der Kirche und hielt auch Lesegottesdienst. Bis zu
seinem Tode wohnte er mit seiner Frau in Reinswalde. Er starb 1944 im Dez. und
ruht mit seiner Ehefrau und 3 Kindern auf dem dortigen Friedhof. Im ersten
Weltkriege fiel sein ältester Sohn, welcher auch Lehrer studierte und '48
(1948) folgte ihm sein jüngster Sohn in die Ewigkeit. So sind von seinen 9
Kindern noch 4 am Leben.
Sein
Nachfolger war der Lehrer Gustav Meerländer aus Namslau. Im Dez. 1931 hielt er
seinen Einzug in Reinswalde. Die Kinder begrüßten ihn mit einem Liede, welches
von einer lieben Reinswalderin gedichtet war. Auch die Gemeinde bereitete ihm
eine frohen Empfang. Die Schulkinder waren ihm auch sehr zugetan. In der Kirche
übernahm er dieselben Ämter wie Kantor Hoffmann. Nach '45 (1945) hat er seine
Heimat in Braunschweig gefunden.
(Anm.: Über beide Lehrer ist mir einiges bekannt geworden.)
Im
Februar 1932 hatte der Frauenverein den Sorauer Frauenverein zu einer frohen
Nachmittagsfeier geladen. Die Feier fand im Saale des Herrn Blobel statt. Es
war ein frohes Beisammensein, denn auch die Männer waren mit eingeladen. Der
Verein hatte (hat) auch hier wieder sein Bestes getan, davon zeugten die
festlich geschmückte Tafel mit allerhand Kuchengebäck und der duftende Kaffee.
Auch war für gute Unterhaltung von den Jugend- und Frauenvereinen gesorgt. Im
Sommer desselben Jahres wurde auch ein Posaunenfest gefeiert. Dazu waren auch
etliche Chöre aus den anderen luth. Gemeinden gekommen.
Auf
Anregen des Pastors und vieler Gemeindeglieder wurde 1933 beschlossen, eine
Kirchenheizung anzuschaffen. Da unsre Kirche sehr hoch und im Winter sehr kalt
war. Es wurden drei Koksöfen aufgestellt, dazu mußte erneuert und geändert
werden. Zur Freude der Gemeinde ging alles in bester Ordnung und sie fühlte
sich wohl in der geheizten Kirche bei kalter Winterzeit. Das Heizen der Öfen
übernahmen etliche Brüder .....
(Anm.: Hier beendete ich am 23.11.2000 die Abschrift der von meinem
Cousin Helmuth Merkwirth überlassene Kopie eines DIN A 5 Schreibheftes. Am
1.6.2002 bekam ich von Herrn Krause, Dortmund das Original, so daß der Text nun
vervollständigt werden konnte.
..... etliche Brüder der Gemeinde. Im April 1934 konnte die
Lehrerin Frl. Mathilde Pfaff auf eine 25jährige Tätigkeit an der ev.-altluth.
Schule zurückblicken. …..
Die einige Zeilen später folgende Feier der "Goldenen
Konfirmation" muß zwischen 1933 (dem Anschaffen der Kirchenheizung) und
1935 (dem Kirchenchortreffen) stattgefunden haben, denn Kopien von Klaus
Winkler unterbrachen den Text ebenfalls an dieser Stelle, werden aber - mit
Lücken zwischen 1933 und 1935 - fortgesetzt und sollen nun folgen! Doch noch
immer war der Text unvollständig und konnte mit der goldenen Konfirmation erst
am 1.2.2004 mit Hinweisen (grün und kursiv) von Klaus Winkler ergänzt werden.
.....
Schule zurückblicken. Die Gemeinde ehrte sie in einer Feierstunde und überreichte ihr ein
wertvolles Geschenk.
Im Sept. desselben Jahres wurde zu Ehren Luthers und
der Bibelübersetzung eine 400 Jahrfeier gehalten. Die Jugend und Schulkinder
nahmen geschlossen am Gottesdienst teil. Am Abend fand noch ein
Abendgottesdienst Statt wobei die Kinder Sprüche und Gedichte aufsagten.
Im Jahre 1935 führte Pastor Hofmann die goldene Konfirmation ein. Er schickte
an alle einstige noch lebenden Konfirmanden, welche vor 50 Jahren in der ev.
altluth. Kirche zu Reinswalde konfirmiert wurden, Einladungen. Sie freuten sich
alle der Einladung und kamen von nah und fern. Welch feierlicher Anblick als
der Pastor mit den Einstigen jungen, jetzt aber von Sorgen und Arbeit des
Alltags gebeugten Konfirmanden unter Posaunenklängen in die Kirche einzog. War
auch manches Angesicht vom Leid gezeichnet, so leuchteten doch die Augen vor
Freude, aber auch manches Auge wurde feucht, als der Pastor in seiner Ansprache
Rückschau hielt auf die 50 Jahre ihres Lebens. Wie viel Hoffnungen lagen da
entblättert zu ihren Füßen, durch wie viel Freud und Leid hatte sie der Herr
geführt. Nach der Ansprache und Verlesung der Namen aller Konfirmanden
bekannten sie noch einmal ihr Konfirmations-Gelübde, welches sie vor 50 Jahren
bekannt hatten, und gedachten ihres Konfirmators und
Seelsorgers Pastor Schöne und Pastor Pfaff. Dann bekamen sie alle ein
Gedenkblatt mit dem Kreuz und untergehender Abendsonne, darunter stand ein
Bibelspruch. Danach fand ein frohes Beisammensein bei Kaffee und Kuchen in der
Schule statt. Es gab dann noch mal ein freudiges Begrüßen, hatten sich ja Viele
Jahrzehnte nicht mehr gesehen, und manche Jugenderinnerung wurde ausgetauscht.
Diese Feier fand jedes Jahr am Sonntag Judika nachmittags statt. Im
Vormittagsgottesdienst fand die Prüfung der jungen Konfirmanden statt. Palmarum
war dann die Konfirmation mit heiligem Abendmahl. Am Sonntag Misericordias
Domini, den sogenannten Hirtensonnntag, fand die
Einführung der neuen Konfirmanden statt.
Am
Sonntag Kantate 1935 fand in Reinswalde ein größeres Kirchenchortreffen statt.
Außer einzelnen Musikfreunden vereinigten sich 5 volle Chöre zum Lobe Gottes.
Konnte ja auch der Reinswalder Chor auf ein 50jähriges Bestehen zurückblicken.
Die Festpredigt hielt Pastor Hofmann und nachmittags hielt Pastor Jakobskötter
eine Ansprache, und die Chöre wetteiferten mit ihren Liedern.
1936
fand ein großes Jugendtreffen statt. Dazu waren viele Jugendvereine aus den
andern ev.-lutherischen Gemeinden gekommen. Auch waren etliche Pastoren
anwesend. Einer dieser Pastoren hielt die Festpredigt. Die Vereine nahmen alle
in den vordersten Bänken Platz und dann die Gemeinde, so daß die Kirche bis auf
den letzten Platz besetzt war. Am Nachmittag versammelte sich die Jugend auf
dem Sportplatz und erfreute die Gemeinde mit ihren Reigen, Spiel und Gesang.
Hierbei konnte der Reinswalder Verein auf ein 40jähriges Bestehen zurückblicken.
Am 26
September 1937 feierte die Gemeinde ihr 60jähriges Kirchweihfest
und zugleich das 90jährige Gemeindejubiläum.
(Anm.: Hier irrt Martha Lehmann; das 90jährige Gemeindejubiläum
fand erst 2 Jahre später statt, da sich die Gemeinde am 28.1.1849 den Alt-Lutheranern
anschließt. Folgendes bezieht sich wohl auf das Gemeindejubiläum, denn beim
Kirchweihfest waren die Pastoren Nagel, Tänzer und Liepelt anwesend.)
Die Kirche war
mit frischem Grün, Blumen und Girlanden geschmückt, und Gäste waren gekommen
von nah und fern. Die Festpredigt hielt Pastor Günter, Weigersdorf. Zu seinem
Text hatte er gewählt, die Anfänge der drei Strophen von dem Liede "Bis
hierher hat mich Gott gebracht", "Hab Lob und Ehre, Preis und
Dank", "Hilf fernerweit, mein treuster
Hort". Auch dieser Tag war ein Freudentag für die Gemeinde. Mit Freuden
und mit dankbaren Herzen konnte die Gemeinde bekennen, ja bis hierher hat uns
Gott gebracht durch seine große Güte. Denn wenn sie Rückschau hielt auf die 90
Jahre, wieviel Barmherzigkeit und Gnadenerweisungen Gottes hat sie erfahren
dürfen. Er hat sie auch weiterhin geleitet. Nachmittags war noch mal eine
Nachfeier und Montagsvormittags war noch mal Gottesdienst. Auch dieses Fest
wurde verschönert von den Klängen und Gesängen des Posaunen- und Kirchenchors.
1938 von
Neujahr bis Epiphanias wurde eine Jugendfreizeit gehalten. Viele Jugendliche
aus den benachbarten ev.-luth. Gemeinden waren dazu gekommen. Auch etliche
Pastoren waren anwesend. Zuerst Pastor Hofmann als Ortspastor, ferner Pastor
Liepelt aus Sorau, Pastor Seefeld, Cottbus und Pastor Tänzer, Rothenburg a. O.
Am Epiphaniasfest ging die gesamte Jugend, welche an
der Freizeit teilgenommen hatten, zum Tisch des Herrn.
Auch der
Frauenverein erfreute sich etliche Jahre hintereinander eines schönen
Ausfluges. Der erste Ausflug war 1937 nach Guben, nach einer Morgenandacht
wurde der Omnibus bestiegen. In Guben angekommen gingen sie zuerst in Naemi-Wilke-Stift und lernten es kennen. Es lag ein großes
Arbeitsfeld vor ihnen. Auch wenn viel Liebe, Barmherzigkeit und Segen den
Kranken, Hilflosen und Alten zuteil wurde.
1938
wurde ein Ausflug nach Grünberg gemacht, auch dieses Mal wurde eine
Morgenandacht gehalten. Nun fuhren wir durch Gottes schöner Natur, Grünberg
entgegen. Als wir dort ankamen, haben wir zuerst die Kirche und Gemeindesaal
besichtigt und staunend sagten wir, ja solch einen schönen Saal brauchten wir
auch. In der Kirche spielte unser lieber Pastor den Choral "Der Herr ist
mein Hirte, mir wird nichts mangeln", welche ihn vom Kirchenchor her
kannten sangen mit, welch stille Andachtstunde. Dann
besuchten wir die schönen Weinberge. Unser lieber Malermeister Bergmann,
welcher in Grünberg bekannt war, hatte für eine gute Mittagstafel gesorgt.
(Anm.: Im Sommer 1913
zu Beginn dieser Erinnerungen wird Malermeister Julius Bergmann schon einmal
erwähnt.)
Am
Nachmittag gingen wir ins Luisental, dort verlebten wir mit dem Grünberger
Frauenverein etliche frohe Stunden und erquickten uns an Kaffee und Kuchen.
Auch der fröhliche Gesang fehlte nicht. Dankbar und frohen Mutes kehrten wir
wieder heim.
Unseren
(3ten) dritten Ausflug haben wir nach Görlitz gemacht am 15. Mai 1939. Wie die
beiden Jahre zuvor, so wurde auch dieser Ausflug mit einer Morgenandacht
begonnen. Als wir den Omnibus bestiegen, regnete es und der Regen hat uns
begleitet bis nach Görlitz. Je trüber es draußen war, desto fröhlicher
erklangen die Lieder im Omnibus. In Görlitz angekommen, bestiegen wir zuerst
die Landeskrone, der Himmel war noch mit Wolken verhangen und die Aussicht in
Nebel gehüllt. Als wir so von oben herab sahen, war es gerade als ob wir in ein
wogendes Meer schauten. Oben angekommen, war gleich Fröhlichkeit am Platze und
einer Vereinsschwester, welche ihren 50. Geburtstag hatte, sangen wir das Lied,
"So nimm denn meine Hände". Auch wurden etliche schöne Geschenke mit
nach Hause genommen. Mittagsrast hielten wir im Haus Rüdiger am Wilhelmsplatz,
heute Karl-Marx-Platz. Nachmittag machten wir einen Rundgang durch die
Ruhmeshalle. Staunten, was für wertvolle Schätze sie barg und manche Erinnerung
wurde wach an längst vergangene Tage. Dann besuchten wir die Neißeinsel und
hielten dort eine Kaffeepause. Mit einem Mal drang doch noch die Sonne durch
die dicken Nebelwolken. Zuletzt sahen wir uns die luth. Kirche an. Bei der Kirche
angekommen, welche von Außen wie eine Burg aussah, begrüßte uns Pastor Priegel
und sein Sohn. Sie führten uns ins Innere der Kirche und wir staunten, wie
schön groß und geräumig sie war. Pastor Priegel erklärte uns, woher
Verschiedenes stammte, besonders der Altar und die Orgel. Dann nahmen wir
Abschied, und unser lieber Pastor war froh, daß wir alle glücklich über die
verkehrsreiche Straße hinübergekommen waren. Dankbar und froh ging es wieder
der Heimat zu.
Im
Sommer 1940 und 1941 feierten die Jugendvereine ein frohes Beisammensein im
Pfarrgarten, auch die Gemeinde nahm daran teil. Sie erfreuten die Gemeinde mit
ihren Liedern und führten etliche Stücke auf aus der Missionsarbeit und aus der
Verfolgungszeit. So hat Gott der Herr der Gemeinde viele Fest- und
Freudenstunden beschert. Hieß es ja auch immer wieder: Reinswalde ist eine
feiernde und singende Gemeinde. Auch das Leid hat nicht gefehlt, aber beides
kommt vom Herrn. Als am 2. Sept. 1939 der zweite Weltkrieg ausbrach, zuerst
gegen Polen, wurden viele Brüder der Gemeinde und des Dorfes zu der Wehrmacht
eingezogen. Jeder Abschied war bitter und schwer. Obwohl dieser Krieg nur 18
Tage gedauert hat, hatte er doch aus unsrer Gemeinde ein Opfer gefordert. Die
Gemeinde stand trauernd an der Seite der Familie, da sie ja schon im ersten
Weltkriege schwer geprüft war. Jeder glaubte, der Krieg sei am Ende, aber der
ersehnte Friede kam nicht.
(Anm.: Gerhard Kurz wurde 1939 zum Polenfeldzug einberufen und ist
als erster und einziger Reinswalder 1939 in Polen gefallen; ¥ Martha
geb. Gärtner, * 17.12.1910, † Berlin 1970 an schwerer Krankheit. Geschwister
von Martha: Marie Winkler, Gerhard Gärtner, Anna Jurke)
Im Juli
1940 ging ein schweres Gewitter über unser Dorf nieder, ein Blitzschlag traf
unser Gotteshaus. Durch das schnelle Handeln unsers Pastors und Eingreifen der
Feuerwehr wurde dem Feuer Einhalt geboten und Gott der Herr bewahrte die Kirche
und die Gemeinde vor einem großen Unglück.
Man
hoffte immer noch auf Verständigung der Völker, aber die Kriegsfackel entbrannte
aufs Neue, nun tobte der Krieg von Jahr zu Jahr, so daß er unzähliges Leid über
unser Dorf, ja über unser ganz Vaterland gebracht hat. Immer mehr wurden zur
Wehrmacht eingezogen und mußten hinausziehen, und jede Familie bangte um ihre
Lieben. Von Herbst 1941 ab kam immer eine Trauerbotschaft nach der andern oder
eine Anzeige: vermißt. In zwei Trauernachrichten wurde der Spruch wahr, .....
(Anm.: An dieser
Stelle wird der Text erneut unterbrechen, leider ließ sich nicht feststellen,
ob nur Blatt fehlt.)
….. Es
war der einzige Sohn seiner Mutter und sie war eine Witwe. Auch in der Heimat
wurden etliche in der Blüte ihres Lebens dahingerafft, so daß eine Lücke nach
der andern gerissen wurde. Unser lieber Pastor tröstete die Hinterbliebenen mit
Gottes Wort in rührender liebevoller Weise, bis auch für ihn die bittre Stunde
schlug, und er im März 1943 zur Wehrmacht einberufen wurde. Ehe er ging, hielt
er noch die Konfirmation. Zu dieser Feier hatte er den Text gewählt, wie Jesus
einst zu seinen Jüngern sprach: Wollt ihr auch weggehen? Petrus sprach: Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen
Lebens. Und wir haben geglaubt und erkannt, daß du bist Christus, der Sohn des
lebendigen Gottes. Er sprach: "Dreierlei bewegt mich dazu, diesen Text
gewählt zu haben. Zwölf Jünger standen vor dem Herrn. Auch Ihr seid zwölf
Konfirmanden, die Ihr vor mir steht, um Eurem Herrn und Heiland die Treue zu
geloben, haltet sie ihm. Haltet auch euer Gelübde, treu zu bleiben unser lieben
luth. Kirche. Auch seid ihr der zwölfte Jahrgang, welche ich an dieser Stätte
konfirmiert habe. Wie nun der Heiland Abschied genommen hat, so nehme ich nun
Abschied von meiner lieben Familie, von Euch ihr lieben Konfirmanden, und von
Euch, ihr lieben beiden Gemeinden. Zwölf Jahre durfte ich Euch dienen mit
Gottes Wort und Sakrament. Habe Euch alle in mein Herz geschlossen und meine
Liebe geschenkt. Bleibt Euren Kindern ein Vorbild, daß ich einst mit Freuden
bekennen kann: Ich habe derer keines verloren, die Du mir gegeben hast." Tiefe
Trauer bewegte unser aller Herzen, als unser lieber Pastor von uns ging. Wenn
auch hin und wieder ein Pastor kam und Predigtgottesdienst und heiliges
Abendmahl hielt, auch die Kindlein in der heiligen Taufe dem Heiland brachte,
so waren wir doch wie Schafe, die keinen Hirten hatten. Nur einmal war es
unserm lieben Pastor vergönnt, in Urlaub zu kommen, ehe er an die Front kam.
Zu aller unsrer Freude hielt er Weihnachten, Silvester 43 und Neujahr 44
Predigtgottesdienst und heiliges Abendmahl. Sein Neujahrstext lautete: So der
Herr will und wir leben. So weilte er noch mal unter uns auch im Frauenkreis.
Am 22. Februar 1944 wurde er auf die Krim nach Rußland abgestellt. Er ging
schweren Herzens, vielleicht hat ihn schon ein himmlisches Ahnen erfüllt,
stellte aber sein ganzes Vertrauen auf Gott und beugte sich unter seinen
Willen. Ende Mai erreichte uns schon die traurige Nachricht, unser lieber
Pastor soll schwer verwundet sein und vermißt. Noch hatten wir Hoffnung, unser
lieber Pastor kommt vielleicht wieder. Aber nach 5 Jahre bangen Wartens ist die
Hoffnung zunichte geworden, als am 1. Osterfeiertag 1949 seine Familie die
amtliche Nachricht bekam, Er sei am 9. Mai 1944 ½ 9 Uhr in Sewastopol schwer
verwundet, kam auf den Hauptverbandsplatz Maxim Gorki II, wo ihn Gott am
gleichen Tage in sein himmlisches Reich holte, zuvor hat er noch mit seiner
letzten Kraft seine Kameraden mit Gottes Wort getröstet und gestärkt und sie
hingewiesen auf Jesum, welcher auch für sie gestorben
ist. Er ruht dort auf dem Friedhof. Er darf nun schauen, was er geglaubt und
gepredigt hat: Seinen Herrn und Heiland und mit ihm 41 seiner Konfirmanden. So
sind alle 8 Pastoren, welche mit Gottes Hilfe den Gemeinden Reinswalde und
später auch Friedersdorf von 1849 - 1944 treue Hirten und Seelsorger waren und
in Liebe und Treue gedient haben, eingegangen in die ewige Heimat und das ewige
Licht leuchte ihnen. Möge an Ihnen das Wort wahr werden: Ei, du frommer und
getreuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel
setzen; gehe ein zu deines Herrn Freude. (Matth. 25
Vers 21). Auch in diesem Weltkriege mußte die Gemeinde wieder zwei Glocken
hingeben.
Am 21.
Mai 1944 weilte die Gemeinde am Grabe ihres frühren
Hirten und Seelsorgers Superindent Pfaff und
gedachten seines 100. Geburtstages. Viele Blumen und ein Kranz seiner dankbaren
Gemeinde schmückten sein Grab. Die Andacht hielt der älteste Kirchenvorsteher
August Hübner über das Wort des Herrn, welches er einst zu Abraham gesagt hat:
Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein (1. Mose 12, 2). Er sprach:
"Unser lieber Seelsorger ist vom Herrn gesegnet worden bis ins hohe Alter,
und im Segen hat er 26 Jahre unter uns gewirkt und haben viel Segen von ihm
erfahren". Durch seine jüngste Tochter ist er der Gemeinde zum Segen geworden,
welche von 1909 bis dahin als zweite Lehrerin an unsrer Schule tätig war. Denn
mit viel Liebe und Geduld hat sie alle Jahre immer wieder die Kleinen der
Gemeinde in ihre Obhut genommen und ihnen das gelehrt, was sie in den ersten
Jahren ihrer Schulzeit fassen konnten.
(Anm.: Als zweite Lehrkraft tritt am 1. Januar 1909 Mathilde Pfaff
(jüngste Tochter von Pfarrer Pfaff) ihr Amt in der luth. Schule in Reinswalde
an. Sie löst Dorothee Schöne ab, die ab April 1907 zweite Lehrerin war und
bleibt bis zum bitteren Ende im Jahr 1945.
Im April 1934 feierte sie ihr 25jähriges Jubiläum (s. da). Dorothee Schöne
erinnert sich an ihre Kindheit 1885 - 1892 und die Zeit als Lehrerin in
Reinswalde im Sorauer Heimatblatt ab August 1997.)
Nun kam das
bittere Jahr 45 (= 1945). Immer näher kam der Feind, immer deutlicher war der
Kanonendonner zu hören, Flüchtlingszüge durchzogen unser Dorf. Ein banges
Ahnen, werden wir die Heimat auch noch verlassen müssen. Doch zubald erfüllte sich dieses Ahnen. Sonntag, den 11. Februar
ging alles ahnungslos zur Kirche. Mitten im Lesen der Predigt kam die Kunde,
der Feind steht am Bober. Der Gottesdienst wurde mit dem Gebet des Herrn
beendet und alles eilte nach Hause. Schrecken stand auf jedem Angesicht
geschrieben. Viele verließen die Heimat und gingen auf die Flucht. Ein Teil
blieb daheim und haben das Schreckliche durchkostet, was die Kampftage mit sich
brachten. Viele liebe Menschen waren zu beklagen, welche in den Kampftagen
umgekommen oder auch gestorben sind. Auch auf der Flucht sind viele umgekommen.
Viele Brüder wurden mit in die Gefangenschaft genommen, von denen sind etliche
nicht mehr zurückgekehrt. Der Kampf tobte in unserem Dorf etliche Tage hin und
her und viele Häuser und Scheunen wurden ein Raub der Flammen. Wie durch ein
Wunder Gottes sind Kirchen, Türme, Pfarrhäuser und Schulen, waren auch
beschädigt, doch erhalten geblieben. Die Schäden wurden im Frühjahr
ausgebessert.
(Anm.: Aber wohl nicht alle, denn der Turm der luth. Kirche hat
auch einen Treffer bekommen. Deutlich ist noch heute der Durchschuß im
Turmgebälk zu sehen und wie das Foto zeigt, fehlt da einiges. Eine Reparatur
erfolgte aber bisher nicht.)
Aus
unserm lieben Gotteshause sollte ein Lagerraum gemacht werden, ein Teil der
Bänke war schon herausgerissen, aber dann wurde es verboten. Es wurde alles
wieder in Ordnung gebracht und wir konnten Lesegottesdienst drin halten. Heute
wird Gottesdienst in fremder Sprache darin gehalten. Zweimal kam aus Sorau ein
ev. Pastor und hielt Predigtgottesdienst auch hl. Abendmahl in der ev. Kirche.
Dann kam die freudige Nachricht, Kirchenrat Kiunke kommt nach Reinswalde und
will bei uns bleiben. Wie war die Freude groß, wieder einen luth. Pastor in
unsrer Mitte zu haben. Alles wurde zum Empfang vorbereitet. Am 22. Juni traf er
mit seiner Familie in Reinswalde ein. Am 24. sollte Predigtgottesdienst mit
Feier des hl. Abendmahls stattfinden. Wie freuten und sehnten wir Lutherischen
uns danach und alles bereitete sich vor. Die Freude war zu groß und sie sollte
uns wieder genommen werden, als am 23. Juni früh der Befehl der P. M. (Anm.: wohl: Polnische Miliz) kam, alles
raus aus dem Dorf, nicht wissend wohin.
(Anm.: Dieser 23. Juni 1945 war auch für andere Dörfer eine böse
Katastrophe. So beschreibt Richard Gutt in seinen Aufzeichnungen -
"Vertreibung aus Gladisgorpe. Erinnerungen eines schlesischen Lektors" - ausführlich nicht nur diesen Zeitraum,
sondern auch, was davor und danach alles so den Gladisgorpern widerfuhr.
Einiges ist auch über Reinswalde zu lesen, u. a. auch über das Los der Familie
Sandmann und anderes mehr.)
In Eile wurde
etwas zusammengerafft und Heimat und alles zurückgelassen, mancher noch ein
Gebet auf den Lippen und in Gedanken, ob wir die Heimat noch einmal
wiedersehen. Nach mühevoller tagelanger Wanderung kamen wir über die Neiße,
manchem wurde das bißchen Habe, was er noch hatte, entrissen. Nach vielem Hin-
und Herwandern, kehrten einige nach etlichen Wochen
wieder zurück in die Heimat, aber eine Heimat fanden wir nicht mehr, nur fremde
Menschen. Durch die vielen Strapazen und Entbehrungen starben viele liebe
Menschen. Welche zurückkehrt waren, wurden 46 und 47 (= 1946 und 1947) zum
zweiten Mal ausgewiesen und unsre Heimat ist in fremden Händen.
(Anm.: Auch über diesen Zeitraum lesen wir ausführlich bei Richard
Gutt in seinen Aufzeichnungen - "Vertreibung aus Gladisgorpe. Erinnerungen
eines schlesischen Lektors". Im Gegensatz zu
Reinswalde hat er aber eine ganze Reihe von Bewohnern namentlich genannt, die
nach Juni 1945 noch einmal in ihr Heimatdorf nach Gladisgorpe zurückkehrten.)
Bis jetzt sind aus Reinswalde und mit den auswärtigen Kirchenmitgliedern 265
heimgegangen. Im stillen Gedenken!
Mein Gott, ich weiß
nicht, wo ich sterbe
und welcher
Sand mein Grab bedeckt;
doch wenn ich
dieses nur ererbe,
daß deine Hand
mich auferweckt,
so nehm ich
leicht ein Räumlein ein;
die Erd ist allenthalben dein.
Amen.
Gefallen
sind in diesem Weltenringen aus Reinswalde und den auswärtigen Gliedern unsrer
Gemeinde 46. Zu ihrem Gedenken wollen wir still die Hände falten und beten:
Engel schweben um
ihr Grab
und Ihnen
lacht der Himmelfriede,
all die Tränen
trocknet ab,
wir sind auch
nur Gäst hienieden,
schaun empor
zu jenen Höhn,
wo wir einst
sie wiedersehn.
Von den
vielen Vermißten sind etliche zu ihren Lieben zurückgekehrt. Von einigen ist
die Nachricht gekommen, daß sie gefallen sind. Das Schicksal der Anderen ist
noch in Dunkelheit gehüllt. Ob sie noch leben und noch in Gefangenschaft oder
schon längst daheim sind beim Herrn, wir wissen es nicht, Gott weiß es, welche
heimgegangen und daheim beim Herrn sind. Auch hier wollen wir stille werden und
beten:
Sie waren gefangen,
nun sind sie frei.
Sind sie
einsam gestorben, Gott stand ihnen bei!
Ist auch
verborgen ihr einsames Grab,
sie ruhen auch
dort in des Herren Hand.
Wenn auch oft
bricht das blutende Herz,
nur Gott
vertrauen, verzaget nicht,
einst wird es
doch offenbar,
daß dennoch
gnädig sein Ratschluß war.
Was sind die
Leiden dieser Zeit,
sie sind nicht
wert der Herrlichkeit,
des Eigen sie
waren, des Eigen sie sind
und einst wird
erwecken sie Jesus Christ.
Dann werden
sie nach Kampf und Streit
gekrönt mit
der Krone des Lebens in Ewigkeit.
Dort in jenen
sel'gen Gründen
werden wir sie
wiederfinden.
Dies ist
ein Rückblick in unsre Reinswalder Heimatkirchengemeinde und Heimat. Wenn auch
viele ihre Heimatkirche und eine neue Heimat gefunden haben, so wird doch in
vielen die Sehnsucht wach:
Noch einmal möcht ich
wandernd durch meine Heimat gehn,
und ihre Städt und
Dörfer und Wald und Felder sehn.
Noch einmal möcht
ich stehen an meiner Lieben Grab,
und Gottes
reichsten Segen vom Himmel flehn herab.
Möcht hören das
Geläute vom Heimatgotteshaus,
und sehe mich im
Geiste dort gehen ein und aus.
Noch einmal möcht
ich wandernd durch meine Heimat gehn,
und ihre Städt und
Dörfer und Wald und Felder sehn.
(Anm.: Hier
beendet Martha Lehmann, geb. Grätz den Bericht über das Leben der luth.
Gemeinde Reinswalde. Sie ergänzt nun ihre Erinnerungen aus Reinswalde im
folgenden Abschnitt mit …..)
Von
Natur- und sonstigen Ereignissen, welche sich sonst noch zugetragen haben, sei
hierbei noch folgendes erwähnt.
Nachdem
1904 ein sehr trockenes und dürres Jahr war,
war 1905 ein sehr nasses und gewitterreiches Jahr. Etliche Gewitter waren mit
heftigen Stürmen begleitet und entwurzelten starke Bäume, auch Hagel ging
nieder und vernichtete ein Teil der Ernte. Als eines Tages ein schweres
Gewitter mit wolkenbruchartigen Regen niederging, traf ein Blitz das Wohnhaus
des Schmiedemeisters August Bergmann und brannte nieder.
(Anm.: August Bergmann,
Schmiedemeister in Reinswalde, liefert 1904 die schweren Anker zur Befestigung
des Mauerwerks beim Turmbau der lutherischen Kirche. Schmiedemeister Benno
Bergmann ist wohl sein Sohn, dieser war mit Anna, geb. Märkisch verheiratet.
Beider Sohn Gerhard Bergmann war ebenfalls Schmiedemeister und mit Frieda
Märkisch verheiratet. Gerhard ist am 25.1.1917 in Reinswalde geboren und wohnt
heute in 03050 Cottbus, Bautzener Str. 40. Alle wohnten in Reinswalde,
Dorfstraße 161).
Ein Kugelblitz
zerschmetterte im Oberdorf eine Eiche und sprang auf das Wohnhaus des Landwirts
Hermann Heinze über, das Feuer konnte wie durch ein Wunder gelöscht werden.
(Anm.: In Frage kommt nur Bauer Julius Heinze. Der Hof liegt
an der Dorfstr. 11 und ist einziges "Heinze-Anwesen im Oberdorf".
1938 werden im Adressbuch des Landkreises Sorau drei Hermann Heinze genannt.
Zwei wohnen im Niederdorf, einer als "Altenteiler" Dorfstraße 86 bei
seinem Sohn, dem Bauern Gotthelf Heinze und der andere als Handweber und
Landwirt in der Dorfstraße 88. Der dritte ist Landwirt und wohnt Ausbauten 12.)
Bei einem anderen
Gewitter schlug der Blitz in das Wohnhaus des Landwirts Karl Kothe und brannte
nieder.
Anfang Juli brannte das Wohnhaus und Stallung der Witwe Rosina Wolf im Oberdorf
nieder, wobei die Heuernte vernichtet wurde.
1911
war wieder ein sehr trockenes Jahr, so daß wieder Futtermangel eintrat.
Ehe
1914 der Weltkrieg ausbrach, verunglückten zwei junge Menschen in Ausübung
ihres Berufes tödlich, der Kutscher Paul Schulze und der Bahnarbeiter August
Nitschke.
1916
brannte die Scheune des Landwirts Hermann Wolf im Niederdorf nieder. Der
Besitzer gehörte zwar nicht zu unsrer Gemeinde, aber die Ehefrau.
Mitte
Juli 1918 brannte früh das Wohnhaus der Gärtnerei Leitloff
(Anm.: Richard Leitloff wird im Adressbuch 1938 erwähnt und
wohnt Dorfstraße 78; er war 1902 geboren und 16 Jahre alt, als sein Elternhaus
abbrannte, ¥ Martha Wolf (Gasswolf); Kinder: Richard, * 1936; Klaus, * 1938)
und am Nachmittag desselben Tages die Scheune des Landwirts Ernst Gärtner durch
Blitzschlag nieder.
(Anm.: Ernst Gärtner, * Reinswalde 12.10.1875, † 1919 an den
Folgen des 1. Weltkrieges, (So. d. Restgutbesitzer Friedrich Erdmann Gärtner ¥ Johanna
Dorotha Wolf); ¥ 15.1.1901 Berta Otte,
* Reinswalde 29.8.1877, † Cottbus 1945-46, (To. d.
Gärtners August Otte ¥ Ernestine Weinert); wohnte im Oberdorf Dorfstraße 177;
Kinder: Marie ¥ Ernst Winkler; Martha ¥ Gerhard Kurz; Gerhard
¥ 1. † Frieda Schober, ¥ 2. Elli
Hoffman; Anna ¥ Martin Jurke.
Berta Gärtner wird 1938 noch als Witwe im Adressbuch verzeichnet. Über ihre
Eltern (also unsere Urgroßeltern) sind Klaus Winkler und ich miteinander
verwandt, denn meine Oma Martha Pauline und seine Großmutter Berta waren
Geschwister.
Am
Pfingstsonnabend 1922 brannte das Wohnhaus des Bauern August Berthold nieder.
(Anm.: Der folgende August Berthold wird als Rentner 1938 im
Adressbuch genannt. Er wurde Wächterberthold genannt, war Totengräber und
wohnte Dorfstraße 110; sein Sohn Herrmann ¥ Martha Schulz hatte 4
Kinder (zweimal Zwillinge): Emma und Anna, Paul und Gustav; die Familie wohnte
Ausbauten 9.)
Am
Sonntag Exaudi 1925 ging ein schweres Hagelwetter über unser Dorf und
vernichtete einen Teil der Ernte.
Durch
schwere Regenfälle wurden unser sonst so stiller Dorfbach und die Nebenbäche zu
reißenden Strömen im Juni 1926 und Sept. 1930 und überflutete die
niedergelegenen Wiesen und Felder und die Straßen.
(Anm.: Ich kann
es mir nicht vorstellen, was unser kleiner Bach "Schlatnitz"
anzurichten vermag, weil ich es selbst nicht erlebt habe. Denn das traut man
diesem Rinnsal "Bache" nun wirklich nicht zu. Die obigen
Erinnerungen, weitere Erzählungen zu diesem Thema und die Lage des Ortes
Reinswalde und der Verlauf des Baches erklären schon, daß manche brenzlige
Situation zu überstehen war.)
Im
August 1931 verunglückte der Maurer Traugott Kalisch [103] auf der Baustelle in Sorau
tödlich.
(Anm.: Dieses Unglück geschah bei Ausschachtungsarbeiten in
Sorau. Im Adressbuch von 1938 wird die Witwe Hedwig Kalisch, wohnhaft Ausbauten
15, am Feldweg bei Gärtners im Oberdorf erwähnt. Kinder des Ehepaares: Grete,
Heinrich und Ernst.)
1933 in der Heuernte verunglückte der Landwirt August Wolf [265] tödlich. Beide
waren Familienväter und hinterließen die trauernden Witwen mit ihren Kindern.
(Anm.: Der tödliche Unfall geschah mit dem Heuwender. Seine
Witwe, die Bäuerin Anna Wolf, wird im Adressbuch von 1938 in der Dorfstraße 114
genannt. Anna lebte nach dem Krieg lange Zeit in Lachen bei Memmingen. Kinder
des Ehepaares: Herbert, Paul, Sohn. Alle drei Buben im Krieg verloren.)
In
einem dieser Jahre brannte auch das Besitztum der Fam. Wonneberger in
Wellersdorf, welche auch zu unsrer Gemeinde gehörten, durch Blitzschlag nieder.
Im
Oktober 1935 brannte durch Kurzschluß die Scheune des Bauern August Wundke im
Oberdorf nieder, wobei die gesamte Ernte und wertvolle Maschinen vernichtet
wurden.
(Anm.: August Wundke, * Reinswalde 15.05.1895, † 12.04.1964,
¥ Lina Henschke, * Reinswalde 26.10.1902, wohnten Dorfstraße 4, fast
am Ende im Oberdorf. Sie wohnt jetzt in 14913 Jüterbog,
Promenade 13, bei Tochter Anneliese, weitere Kinder: Gotthard, Anni, Martin,
Elsa und Reinhard; Reinhard ist am 12.09.1994 gestorben. Eltern von August:
August Wundke und Auguste NN; Eltern von Lina: Ernst Henschke ¥ Emilie
Blobel.)
NN ist die lateinische Abkürzung für "nomen nescio" und heißt: "Name unbekannt" oder
"nomen nominandum"
und bedeutet: "der Name ist noch zu nennen"; eine häufig gebrauchte
Kurzfassung auch für die Familienforschung, wenn ein Teil des Namens fehlt.
In
den Vormittagsstunden des 22. Sept. 1939 brannte das Wohnhaus mit Scheune des
Landwirts Hermann Schneider durch unaufklärliche
Weise nieder.
(Anm.: Herrmann Schneider, * 1870, wohnte Dorfstraße 9 im
Oberdorf, Kinder: Max und Martha und Elly, Zwillinge und Willi gefallen.
Diese Angaben aus dem von Klaus Winkler erstellten Dorf-Archiv sind etwas
unklar. Ob der folgende Max Schneider mit dem o. a. Max identisch ist, muß noch
überprüft werden.
Max Schneider, Landwirt und Händler, wohnte Dorfstraße 164, war zweimal
verheiratet mit NN; Kinder: Sohn Willi, * 1922, gefallen; Tochter Elly; später
noch einmal Zwillinge, 2 Mädchen:)
1940
und 1941 war durch die schnelle Schneeschmelze wieder Hochwasser entstanden, so
daß die niedergelegenen Ortschaften ihr Vieh und Verschiedenes in Sicherheit
bringen mußten.
1942
vor Pfingsten ging in den hinteren Wiesen des Rittergutes Fischer ein
Wolkenbruch nieder, so daß in wenigen Min. auch die rechte Seite unseres Dorfes
unter Wasser stand und die Frühjahrsarbeit mancher Landwirte vernichtet war.
(Anm.: Das Rittergut Fischer lag in Waltersdorf. Im
Adressbuch von 1938 heißt es: "Fischer, Franz, Landwirt, Gut, 4, ( Sorau 2135"; Fischer
betreute zeitweilig auch die Register des Standesamts Reinswalde.)
Als
am 11. April 1944, am dritten Osterfeiertag, feindliche Flugzeuge über Sorau
Bomben abwarfen, fanden auch aus unsrer Gemeinde 2 junge Menschen den Tod. Der
Malerlehrling Günter Pfitzmann, welcher erst Palmarum konfirmiert war, und die
Hausgehilfin Dora Heinze.
(Anm.: Der Bombenangriff auf Sorau war am 11. April 1944 (=
Osterdienstag), hier hat sich Marta Lehmann geirrt, denn sie notierte 13.
April.
Max Pfitzmann, ¥ Martha geb. Drechsler, * 1905, † ...; wohnten Dorfstraße 7;
Kinder: Günter, beim Bombenangriff in Sorau umgekommen;
Klaus und Hubert s. u.;
Hubert Pfitzmann, * Reinswalde 11.1.1940, (So. d. Max Pfitzmann ¥ Martha
Drechsler); wohnte Dorfstr. 7; Wohnort jetzt: 03099 Milkersdorf,
Dorfstraße 32;
Über Dora Heinze sind im Dorf-Archiv von Klaus Winkler folgende Angaben zu
finden: Gotthold Werner, [258], ¥ Frieda Sinske, verw. Heinze; aus ¥ 1. von
Frieda Sinske, verw. Heinze, stammt Dorothea
(Dorchen) Heinze, * 19.2.1922, † Sorau 11.April 1944 (beim großen Bombenangriff
auf Sorau umgekommen; siehe auch Nachdruck der Traueranzeige im Sorauer
Heimatblatt Nr. 4 April 1993, Seite 7 - " ... unsere treue Helferin: ...
Dorothea Heinze geb. 19.2.22 ...")
Geschrieben von Marta Lehmann
geb. Grätz
gewohnt in Reinswalde
zur Miete bei Gärtner Gerhard
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Unser kleiner (neuer) Friedhof in
Reinswalde
Bericht von der Einweihungs-Zeremonie am 1. Juni 2012
von Klaus Winkler, Kaufungen
Eine würdige Gedenkstätte für unsere Verstorbenen
Schon
seit Jahren bestand der Wunsch, die alten Gräber unserer Vorfahren würdig zu
bewahren. Immer wieder wurde auch, schon damals mit Pfarrer Tomkowski, darüber
gesprochen, doch es ist nie etwas daraus geworden. Auch bei meinem Besuch im
Sommer 2010 hatten wir über diese Maßnahme gesprochen.
v. li.: Klaus Winkler, Bürgermeister Albin Kuczak,
Edmund Kantyka und der künftige Bürgermeister Kazimiery Ostrowski besprechen die Pläne
Nun hat Reinswalde
einen neuen Bürgermeister und einen neuen Pfarrer; wem wir diese kleine
Gedächtnisstätte nun zu verdanken haben ist mir unbekannt. Fest steht: Es ist
eine würdige kleine Erinnerungsstätte geworden. Am 1. Juni 2012 haben wir den
kleinen Reinswalder Friedhof, bzw. seine Erinnerungsstätte, mit einer kurzen
Ansprache und einem Gebet, unter Beteiligung der polnischen Verantwortlichen
geweiht.
Wir
waren zum 31. Mai bei Edmund angemeldet und kamen, nach einer sehr guten Fahrt,
auch noch zur rechten Zeit gegen 18 Uhr dort an. Wir, das sind Helma und Klaus
Winkler. Der genaue Zeitpunkt für die kleine Feierstunde mußte noch mit dem
Pfarrer und dem Bürgermeister verabredet werden. Da war Edmund sehr hilfreich.
Wir störten Herrn Ostrowski bei seiner Aufsicht über eine übliche
Feuerwehrübung, aber er ging mit uns auf den Friedhof und hier wurde alles
besprochen. Der für den ganzen Friedhof verantwortliche Mann war auch gleich
dabei. Er wohnt allerdings gleich vor dem Friedhofstor, im ehemaligen Haus von
Hänsel Hermann. Ein Gespräch mit Pfarrer Semkło
ergab, daß wir uns alle am Freitag, den 1. Juni um 15.30 Uhr auf dem Friedhof
treffen.
Natürlich sind wir,
Irena, die Frau von Edmund, der Edmund, Helma und Klaus Winkler schon vorzeitig
da und bereiten die Feierstunde ein bißchen vor, Irena hat noch zwei
Friedhofskerzen gekauft und angezündet. Als wir dort hinkamen, war bereits ein
sehr schöner Pfingstrosenstrauß mit einer Vase dort abgestellt, wir vermuten
vom Nachbarn, dem Friedhofswärter. Die Männer haben zur Ablage der Blumen usw.
extra eine kleine Steinplatte aufgestellt. Den Pfingstrosenstrauß stellen wir
aber runter, wir brauchen den Platz für unsere mitgebrachte Blumenschale mit
den bedruckten Schleifen.
Der
Text auf den Schleifen:
Im Gedenken an unsere Vorfahren und in
Dankbarkeit gegenüber dem Bürger in Złotnik.
W pamieci nasi
Przodkowie I jako podziękowanie
dla obywateli Złotnik.
Wir müssen auf Pfarrer Semkło warten. Er hatte noch Krankenbesuche im
Krankenhaus zu machen, und das geht nicht immer so ganz pünktlich. Also warten
wir. Doch Pfarrer Semkło
ist gekommen und wir beginnen unsere kleine Zeremonie. Bürgermeister Ostrowski
eröffnet mit der Frage, ob wir auch zufrieden sind, was wir mit einem
eindeutigen "Ja, sehr"
beantworten.
Zunächst liest jetzt
Edmund die polnische Übersetzung, danach lese ich den deutschen Text. Wir
schließen unsere Vorträge mit einem Gebet von Pfarrer Schmidt aus Kassel.
Der Text der Ansprache und das Gebet:
Drodzy
przyjaciele ze Złotnika, drodzy byli mieskańcy Reinswalde.
Istnieje szczególny powód, że spotykamy się dziś na cmentarzu.
Nasi przyjaciele w Złotniku wystawili naszym przodkom, którzy zostali
pochowani na tym cmentarzu przed 67 laty oraz wcześniej, trwały
pomnik. Aby było to odpowiednie miejsce spokoju, namysłu i skupienia,
dzisiejsi mieszkańcy założyli dla nich prawdziwy mały
cmentarz, z miejscem do siedzenia. Zawsze kiedykolwiek odwiedzimy dawną
ojczyznę znajdziemy tu małe miejsce do odpoczynku i wspomnień.
Drodzy przyjaciele ze
Złotnika, dziękujemy wam za to z całego serca. Serdeczne
podziękowania kierujemy również do parafii za tablicę
pamiątkową ze stosownym tekstem.
Drodzy byli mieszkańcy Reinswalde, zawsze kiedy tu przybędziecie,
przynieście, proszę, z sobą mały bukiet kwiatów, albo
jakikolwiek inny mały dowód pamięci. Myślę, ze znajdziemy
tu przyjaciół, którzy zawsze zadbają tu o porządek i
uprzątną stare kwiaty lub wszelkie niepotrzebne już rzeczy.
Obecnie, jako dowód uznania dla trudu, jaki obecni mieszkańcy zadali tu
sobie oraz dla upamiętnienia naszych przodków składamy dziś te
kwiaty.
Przede wszystkim jednak kierujemy podziękowanie i uznanie dla
przyjaciół, którzy mieszkają tu we wsi.
Teraz zakończmy
naszą małą ceremonię modlitwą.
Auf
den Bildern sind auch der neue schmiedeeiserne Zaun und (im Bild rechts mit
Edmund) sogar das neue Eingangstor gut zu erkennen.
Liebe
Freunde hier in Złotnik, liebe ehemalige Reinswalder.
Es ist schon ein besonderer Grund, daß wir uns heute hier auf dem Friedhof
treffen.
Unsere Freunde hier in Złotnik haben unseren Vorfahren, die vor 67 und
mehr Jahren gestorben sind und hier auf diesem Friedhof beerdigt wurden, ein
festes Denkmal gesetzt. Damit es auch ein richtiger Ort der Ruhe, Besinnung und
Einkehr ist, haben die Männer einen richtigen kleinen Friedhof, mit einem Platz
zum Hinsetzen, für uns angelegt. Immer wenn wir die alte Heimat mal besuchen,
finden wir hier einen kleinen Platz zum Ausruhen und Erinnern.
Liebe Freunde in Złotnik, wir danken Euch von ganzem Herzen dafür. Einen
herzlichen Dank auch an die Kirchengemeinde für die Erinnerungstafel mit dem
passenden Text.
Liebe ehemalige Reinswalder, immer wenn Ihr einmal hierher kommt, bringt bitte
einen kleinen Blumenstrauß oder irgendeine kleine Aufmerksamkeit mit. Ich
denke, wir werden hier Freunde finden, die auch immer wieder mal Ordnung machen
und alte vergangene Blumen oder Ähnliches wegräumen.
Für heute, als Anerkennung für die Arbeit, welche die Männer sich hier gemacht
haben und auch zum Gedenken an unsere Vorfahren und Großeltern, legen wir heue
diese Blumen nieder. Er soll zunächst erst einmal unser Dank und eine
Anerkennung an die Freunde sein, die jetzt hier im Dorf wohnen.
Heimatfreund Klaus Winkler Jetzt beenden wir diese kleine Zeremonie mit
einem Gebet.
Kochany
Ojcze w niebie, Ty jesteś Bogiem żywych i umarłych.
Stoimy dziś nad grobami naszych ukochanych. Wiemy, że są oni
bezpieczni w twoich dłoniach.
Dziękujemy ci za to miejsce na ziemi, w którym możemy o nich
myśleć i być z nimi blisko.
Dziękujemy również za przyjaźń i zrozumienie, która
dziś powstała między naszymi narodami.
Pojmujemy to jako cud, który ty sprawiłeś. Ty poruszyłeś
serca ludzi i w ten sposób podarowaleś pokój.
Prosimy cię, pobłogosław wszystkie dążenia między
naszymi narodami, które służą pokojowi.
Pobłogosław ludzi, którzy w tej miejscowości wspominają
zmarłych. Pobłogosław ludzi, którzy szukają tu spokoju i
nabożeństwa.
Pobłogosław nas wszystkich w tej miejscowości. O to wszystko
prosimy cię przez miłość Jezusa, Amen.
Lieber Vater im Himmel, Du bist ein Gott der Lebenden und der
Toten.
Wir stehen heute bei den Gräbern unserer Lieben. Wir wissen sie in Deiner Hand
geborgen.
Wir danken Dir für diesen Ort auf Erden, wo wir an sie denken und ihnen nahe
sein dürfen.
Wir danken auch für die Freundschaft und Verständigung, die heute zwischen
unseren beiden Völkern gewachsen ist.
Wir erkennen es als ein Wunder, das Du bewegt hast. Du hast die Herzen der
Menschen bewegt und so den Frieden geschenkt.
Wir bitten Dich, segne alle Bemühungen unter unseren Völkern, die dem Frieden
dienen.
Segne die Menschen, die an diesem Ort ihrer Verstorbenen gedenken. Segne die
Menschen, die hier Ruhe und Andacht suchen.
Segne uns heute hier an diesem Ort. Das alles bitten wir um Jesu willen. Amen.
Diese
Tafel aus Granit, auf Hochglanz geschliffen,
wurde von der katholischen Kirchengemeinde in Złotnik für dieses Denkmal
gestiftet.
Am Ende der Zeremonie stellten sich die Anwesenden gerne zu einem
Gruppenfoto.
Die Teilnehmer von
rechts:
Unser Freund Edmund Kantyka, Pfarrer Ireneusz Semkło, Helma Winkler, Michal Hołowacz,
Wincenty Baranowski, Irena Kantyka, Bürgermeister Kazimiery Ostrowski und Klaus Winkler.
Nun war damit diese unsere denkwürdige Feier noch lange nicht
zu Ende. Herr Ostrowski hat uns alle zu einer gemütlichen Stunde in die
Bibliothek eingeladen, heute im Gebäude der ehemaligen evangelischen Schule.
Die Frauen haben für Kaffee und Kuchen gesorgt und der Bürgermeister spendierte
eine Flasche guten Rotwein. Frau Emilia Klusek, die
Hausherrin in dieser Bibliothek, hat uns mit Hilfe ihrer Tochter Julita Klusek bedient. Beide zeigten mir noch die Internetseite
von Złotnik, die Internetadresse lautet: www.zlotnik.gminazary.pl.
Zum Schluss tragen sich alle in das Gästebuch dieses Hauses
ein, es war kein goldenes, es wurde aber eine ganze Seite. Edmund ist der
letzte, neben ihm sitzt Michal Hołowacz.
Seit etwa einem Jahr hat Reinswalde (Złotnik) einen
neuen Bürgermeister. Herr Kazimiery Ostrowski
war uns bei der Organisation dieses Ehrenmals sehr behilflich, bzw. er hat das
Ganze verantwortlich organisiert. Ihm
gebührt unser großer Dank!
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Die Flucht 1945 – 1946
nach eigenem Erlebnis und aus den Erinnerungen von Martha Leitloff, geb. Wolf
verfaßt von Dieter Schmidt
13. – 16. Februar 1945
Am 13. Februar 1945 rückten die Russen in Reinswalde ein. Martha Leitloff
verbringt mit meinen Großeltern (Anna und Gustav Hänsel) sowie Tante Lisbeth
(Hänisch verw. Leitloff) und Sieglinde eine Nacht bei Tschaksches.(1) Am 14. Februar 1945 brechen sie
gemeinsam zu Schmidts in die Wellersdorfer Straße. Von dort aus sammeln sich
dann alle bei deren Nachbarn Wilhelm und Klara Kluge. Die Zeit bei der Familie
Kluge wird aber unerträglich, weil immer wieder die Russen in das Haus
einfallen und uns, besonders die Frauen, terrorisieren.
Ab 17. Februar 1945
Die deutschen Soldaten beginnen mit einem Gegenangriff. Gleichzeitig ist dieser
Tag der Beginn unserer Flucht und mein Geburtstag. Ich wurde 7 (sieben) Jahre
alt. Von Kluges aus geht es über das Goldbacher Feld in Richtung der Straße
Sorau – Sagan. Von hier aus können wir sehen, wie die Russen die Sorauer
Kasernen besetzten. Sieglinge Leitloff und Helmuth Merkwirth sind noch zu klein
(19 und 13 Monate) um zu laufen. Sie werden im Kinderwagen transportiert.
Dadurch kamen wir nur langsam voran, weil die Kinderwagen über die Spurgräben
der Panzer und die Schutzlöcher gehoben werden mußten. Auf dem Goldbacher Feld
geriet unsere Gruppe unter Beschuß der Russen. Hinter uns also die Russen und
vor uns die deutsche Wehrmacht am Waldessaum, die gerade Munition nach vorn
brachte. Die deutsche Wehrmacht versuchte uns dann durch Sperrfeuer etwas
Schutz zu geben. Nach Erreichen des Waldsaums kniete die Gruppe nieder, um zu
beten.
Später rasteten wir an und auf einer verschneiten Rübenmiete. Hier gratulierte
mir Tante Martha zu meinem in Vergessenheit geratenen Geburtstag und schenkte
mir zwei Äpfel. Leider vergesse ich hier beim Weiterzug mein Paar Ersatzschuhe.
Unsere Gruppe besteht aus 28 Reinswaldern. Es waren
Anna Merkwirth, Helmuth
Merkwirth, Pauline Hänisch (geb. Otte, Schwester meiner Oma), Martha Leitloff
(geb. Wolf),
Gustav Hänsel (mein Opa), Anna
Hänsel (meine Oma), Elisabeth Hänisch (verw. Leitloff, geb. Hänsel), Sieglinde
Leitloff,
Martha Schmidt (geb. Otte,
meine Oma und Mutter meines Vaters), Lina Schmidt (geb. Hänsel, meine Mutter),
Dieter Schmidt,
Wilhelm und Klara Kluge mit
Sohn Horst, Frau Tschentke, Frau Hänisch mit 2 Kindern (Beiname
Schneider-Nitschke),
Gertrud Pusch (Mutter von
Manfred), Mutter Tschaksche (1), Gottfried Pohl und seine Mutter.
Die Namen der restlichen Personen können von Tante Martha z. Zt. nicht mehr
genannt werden, weil sie sich ihrer Erinnerung entziehen.(2) Einige
Personen gingen der Gruppe schon während der Flucht über das Goldbacher Feld
verloren, so auch das Ehepaar Kluge mit Sohn Horst, weil sie im Kugelhagel
auseinandergerissen wurde.
Gottfried Pohl hat sich während des Fußmarsches seinen Beinstumpf wund
gelaufen. Deutsche Soldaten nehmen ihn und seine Mutter mit. Damit verlassen
sie unsere Gruppe und enden später in Amberg, Bayern. Wir laufen bis zur Straße
Hansdorf – Kunzendorf und übernachten in einem leeren Haus in Kunzendorf. Von
hier nehmen uns deutsche Militär-Lkw aus der Frontlinie. So kommen wir nach
Bautzen, wo wir in einer Schule unterkommen und auf Stroh lagern. Nach einer
Woche in der Schule werden wir in einen Güterzug verfrachtet. Die Waggons
werden dicht bei dicht gefüllt und von außen verschlossen.
Ende Februar 1945
Von Bautzen aus ging es im Güterzug bis vor Dresden. Die Stadt hatte gerade den
Großangriff der englischen Luftwaffe (vom 13.2. bis 15.2.1945) hinter sich.
Dort standen wir im verschlossenen Zug drei Tage ohne etwas zu essen und zu
trinken auf einem Güterbahnhof vor der Stadt. Die Notdurft mußte in den Waggons
verrichtet werden. Zu dieser Zeit gab es noch Einzelangriffe der Alliierten aus
der Luft auf die Stadt und die Umgebung. Die Gruppe hatte damals so gut wie
sicher mit dem Leben abgeschlossen – aber alles geht gut. Endlich ging es dann
doch mit dem Zug weiter. Nach drei weiteren Tagen ohne Essen und Trinken laufen
wir in Prag ein. Hier bekommen wir erstmals wieder Wasser durch die kleinen,
vergitterten Waggonfenster gereicht. Eisenbahner versorgten uns aus dem
Vorratswasser für die Lokomotiven. Die Fahrt geht weiter bis Neuhaus,
Tschechien. Von hier kommen Tante Martha (Leitloff) und Tante Liesel (Steinke)(3)
ins Krankenhaus nach Iglau. Sie werden an den Folgen der Flucht behandelt und
kehren zurück nach Neuhaus. Im Krankenhaus gab es viele Mütter mit kleinen
Kindern, untergebracht in einem extra Raum, die an den Folgen der Flucht
litten. Viele Kinder waren sterbenskrank und überlebten nicht.
März – April 1945
Neuhaus ist erst einmal vorläufige Endstation. Wir sind in einer Schule
untergebracht. Hier sammeln sich viele Flüchtlinge. Unsere Gruppe bekommt
Kontakt zu einem landwirtschaftlichen Gut. Einige Personen aus der Gruppe
helfen diesem Betrieb beim Pflanzen von Kartoffeln, als Gegenleistung für
erhaltene Lebensmittel.
Mai bis November 1945
Beim Rückzug vom Balkan kommt eine große Anzahl deutscher Soldaten durch
Neuhaus. Es gibt viele Verwundete und der Rückzug reißt tagelang nicht ab. Die
Soldaten treiben Kuhherden vor sich her und schlachten Tiere bei Bedarf. Hier
holen wir uns etwas Fleisch und lernen einige Soldaten kennen. Diese sagen uns
zu, uns mitzunehmen, wenn die Russen kommen und der Weiterzug mit dem Ziel
Bayern ansteht. Die Tschechen proben inzwischen den Aufstand mit Glockenläuten.
Noch haben die Deutschen das Sagen. Inzwischen sind auch die Amerikaner nicht
mehr weit. Wir wollen zu den Amerikanern. Am 8. Mai 1945 ist
Waffenstillstand.''
Die deutschen Soldaten hielten Wort. Sie weckten uns in der Nacht und nahmen
uns mit. Unsere Gruppe wurde auf zwei Lastwagen verteilt. In den Wirren des
Rückzugs werden die zwei Lkw getrennt. Liesel Steinke mit Sohn Reinhard sowie
Annemarie Kloß sind nicht mehr bei uns. Letztendlich landen sie in Wien und
später in Minden / Westfalen.(3, 4)
Die Auflösung des Trecks in zwei Richtungen hatte zur Folge, daß unsere Gruppe
nur noch aus folgenden Personen bestand:
Anna Merkwirth, Helmuth
Merkwirth, Erwin Kloß(3), Pauline Hänisch (geb. Otte), Martha
Leitloff (geb. Wolf),
Gustav Hänsel, Anna Hänsel,
Elisabeth Hänisch (verw. Leitloff, geb. Hänsel), Sieglinde Leitloff,
Martha Schmidt (geb. Otte;
meine Oma), Lina Schmidt (geb. Hänsel), Dieter Schmidt.
Nach einer gewissen Zeit ist der Treibstoff des Lkw aufgebraucht. Weiter geht
es zu Fuß. Wir kommen bis in den Böhmerwald und in den amerikanischen
Geltungsbereich. Unterkunft finden wir beim Bauern Lederhofer auf dem Dachboden
und auf Stroh in Chrobold. Den ganzen Sommer arbeiten die verbliebenen
Erwachsenen unserer Gruppe für die Ernährung in der Landwirtschaft. In der Nähe
unserer Unterkunft befindet sich ein Gefangenlager für deutsche Soldaten. Ein
Schlesier, Herr Heinrich, wird entlassen und schließt sich uns an. Er war
Zahlmeister bei der Wehrmacht. Er und Lina Schmidt, die einen größeren
Geldbetrag mit auf die Flucht nehmen konnte, hielten uns über Wasser. Da es im
Oktober auf dem Boden des Hofes Lederhofer lausig kalt wurde, wurde das
Quartier mit Erlaubnis des Bürgermeisters (damals noch ein Deutscher) in ein
verlassenes Sägewerk verlegt. In der Arbeitshalle gab es hier einen Ofen und
auf dem Betriebsgelände genügend Brennholz.
Inzwischen haben die Tschechen das Regiment übernommen. Sie plündern uns und es
geht das Gerücht um, alle müßten weg, auch die Einwohner des Ortes, die
Deutsche sind. Die Lage war also total unsicher und deshalb wollten wir weg.
Das Ziel war nach wie vor Bayern. Kolportiert wurde, es könne ausreisen, wer in
Deutschland eine Wohnung nachweisen kann.
Uns fällt Frau Hofmann ein, die Frau unseres Pastors, der bekanntlich aus
Balhorn stammte. Sie hat schon anläßlich ihrer Rückkehr nach Balhorn den
Reinswaldern gesagt, daß sie helfen würde, wenn sie in Not kämen. Lina Schmidt
(meine Mutter) schreibt ihr einen Brief und erklärt die Lage. Aber wie den Brief
nach Deutschland bekommen? Herr Hinrich (der Zahlmeister) und Martha Leitloff
sollen den Brief nach Deutschland bringen und nach Balhorn schicken. Es ist
November 1945, der Schnee liegt ½ Meter hoch, die Grenze ist 50 km entfernt und
muß schwarz überwunden werden. Die Beiden machen sich auf den Weg. Das Vorhaben
gelingt. Haidmühle ist der erste deutsche Bahnhof, den sie erreichen. Sie sind
durchnäßt bis auf die Haut und sie übernachten im Wartesaal des Bahnhofs mit
vielen weiteren Heimatlosen. Das Ziel ist Passau. Der Zug fährt aber nur bis
Tiefenbach, weil die weitere Strecke zerstört ist. Also geht es zu Fuß weiter.
In Passau angekommen, sind sie in das erstbeste Haus, es lag in der
Adalbert-Stifter-Straße 17, gegangen und haben den Bewohnern die Lage erklärt:
Daß man dem Briefempfänger ihre Adresse angeben möchte, damit man eine
Anschrift für die Rückantwort hat. In vier Wochen wollte man wiederkommen, um
nach der Antwort zu fragen. Die Angesprochenen waren einverstanden. Nun ging es
wieder zurück nach Chrobold, nachts schwarz über die Grenze.
Dezember 1945 bis Januar 1946
Inzwischen hatten wir uns eine neue Bleibe gesucht. Zwischen dem 10. und 20.
Dezember zogen wir in einen Raum in der Schule. Im Sägewerk war es inzwischen
auch zu kalt, weil die Werkhalle zu hoch war und nur ein einfaches Ziegeldach
hatte. In diese Zeit fiel auch der zweite Gang von Martha Leitloff und Herrn
Heinrich über die deutsch/tschechische Grenze. Es ging alles gut. Gott hat uns
behütet. Kurz vor Weihnachten hatten wir die Zusage von Frau Hofmann nach
Balhorn zu kommen. Ein Bauer aus Chrobold fuhr uns mit dem Pferdewagen an die
Grenze nach Haidmühle. Von hier mußten wir per Pedes mit den noch vorhandenen
Habseligkeiten über die Grenze nach Haidmühle. Diesmal legal, weil wir mit dem
Brief von Frau Hofmann eine Wohnung nachweisen konnten. Alles ging glatt. Von
hier aus nahmen wir den Zug nach Passau. Irgendwie kamen wir aber nur bis
Regensburg. Die Züge gingen sehr unregelmäßig und außerdem waren alle Scheiben
der Wagen zerbrochen.
Bis ein Zug gen Norden ging, verbachten wir eine Woche im Saal einer
Gastwirtschaft in Regensburg. Die Züge waren so überfüllt, daß auch die Dächer
vollbesetzt waren. Zwischenstation war dann Würzburg. Tage später sind wir in
Kassel angekommen und übernachteten hier im Flüchtlingslager. Am Morgen nach
unserer Ankunft treffen wir im Waschraum Gotthelf Flöther (mein Pate), der wie
wir nach Balhorn unterwegs war. In Balhorn sind wir dann am 15. oder 16. Januar
1946 angekommen. Eine Woche verbrachten wir im Pfarrhaus der SELK.(5) Inzwischen hatte uns Frau Hofmann
Quartiere bei Balhorner Bürgern besorgt. Wir wurden bestens aufgenommen und
waren dankbar, endlich wieder etwas zu essen, ein Dach über dem Kopf und eine
warme Stube zu haben. Herr Heinrich blieb dann noch etwa zwei Wochen in Balhorn
und zog dann zu seinen inzwischen gefundenen Angehörigen.
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Erläuternde Hinweise (nicht nur)
für die Internetseite von Reinswalde von Reinhard Steinke:
(1) Nach dem Familienbuch Reinswalde handelt es sich um die Familien
von Hermann [244] und Paul [245] Tzschacksch,
Dorfstraße 157 = Haus-Nr. 154
= H…;
leider läßt sich nicht genau
klären, wer mit "Mutter Tschaksche" gemeint ist. Vermtl. ist es Johanne Marie Auguste Tzschacksch, die
Mutter der oben genannten Hermann
und Paul. Sie wird in der
Gemeinde-Vermißtenliste der Heimatortskartei für die Mark Brandenburg östlich
der Oder /Neiße vom 8.9.1961
in Reinswalde (ohne Vornamen) genannt, als Mutter von Paul Herrmann Tzschacksch
[245] bezeichnet und ist eine Tochter
des Bauern Johann Gottfried Kothe ¥ Eva
Rosina Hübner, dessen Hof später "langer Kothe" genannt wird.
(2) Beim letzten Reinswalder-Treffen in Balhorn am 7. Sept. 2014
wurde ausführlich über die zunächst unbekannten Reinswalder diskutiert und mit
Erwin Kloß die Liste vervollständigt. Im
nachfolgenden Absatz wird "Tante Liesel Steinke" erwähnt, also war
auch ihr Sohn Reinhard zunächst bei der Gruppe.
(3) Mit Tante Liesel und ihrem Sohn Reinhard sowie Annemarie Kloß
werden drei weitere Personen genannt, siehe auch(2); in der zweiten
namentlichen Aufstellung erscheint nun
auch Erwin Kloß, der Bruder von Annemarie; somit sind jetzt 26 von 28 Personen
namentlich bekannt. Ein Telefongespräch
am 23.9.2014 mit Martha Leitloff bestätigt diese Annahme.
(4) Siehe auf der Internetseite von Reinswalde
"Erinnerungen":
"Brief an eine
Heimatfreundin vom 4. April 1946"; Elisabeth Steinke
("Schmidts Liesel") an Gertrud Rehnisch, später verheiratete Gummert.
Liesel Steinke beschreibt den
weiteren Verlauf ihrer Flucht mit Annemarie und Reinhard. Ihre Erinnerungen
decken sich mit den Aufzeichnungen von Martha
Leitloff und Dieter Schmidt knapp 70 Jahre später.
(5) Gemeint ist hier die "lutherische Balhorner Gemeinde",
eine sogenannte "lutherisch-renitente Kirchengemeinde", die zur
hessischen Renitenz gehörte. Die
"Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche (SELK)" gründete sich
später durch den Zusammenschluß mehrerer lutherischer
Freikirchen.
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